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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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gern informelle Besprechungen abhielt. Der Commissioner stand an der Bar und unterhielt sich mit dem chinesischen Barmann, als Chan hereinkam. Nachdem Tsui ein Lager-Bier für Chan bestellt hatte, dirigierte er ihn an einen kleinen Tisch. Er trug sein Glas, an dem ein Bierdeckel klebte, selbst.
    »Heute haben Sie ja ganz schön was erlebt«, sagte Tsui.
    Chans Gesicht zuckte. »Macht’s Ihnen was aus, wenn ich rauche?« Er zündete sich eine Benson and Hedges an. »Die Sache hat mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«
    Tsui musterte Chans Gesicht. »Wissen Sie, Sie haben einen ziemlichen Ruf.«
    »Ich? Wofür?«
    »Für Ihren Fanatismus. Hat der Sie heute dazu getrieben, in chinesische Gewässer einzudringen?«
    »Ich habe unsere Position nicht überprüft. Es kann sich nur um ein paar Meter gehandelt haben. Wir haben den Sack für die Ermittlungen gebraucht.«
    Tsuis Stirnrunzeln stand in Widerspruch zu dem Stolz in seinem Blick. »Aber Sie hätten dabei umkommen können. Sie wissen doch, wie die sind.«
    Chan nahm einen Schluck von seinem Lager und wollte es wieder zurück auf den Tisch stellen, doch dann nahm er noch einen Schluck. »Hören Sie zu, wenn Sie mir sagen, ich soll die Ermittlungen einstellen, mache ich das. Doch bis dahin … ich meine, ich werde nicht derjenige sein, der klein beigibt. Die Briten können das, Sie können das, aber ich werde es nicht tun.« Unter dem Blick des Commissioner fügte er zögernd hinzu: »Es sei denn natürlich, ich erhalte den Befehl dazu.«
    Natürlich war Gehorsam eine konfuzianische Tugend. Bei der Belagerung von Nanking, hatte Chan gelesen, hatten japanische Maschinengewehrschützen in schmalen Straßen auf heranstürmende chinesische Soldaten geschossen, bis die Wege mit Leichenbergen verstopft waren. Angehörige jeder anderen Rasse wären nach den ersten Verlusten in Deckung gegangen, doch die Chinesen griffen immer weiter an. Warum? Weil sie den Befehl dazu erhalten hatten. Auf eben diesen selbstzerstörerischen Gehorsam setzten die Briten, wenn sie sechs Millionen freie Menschen dem kriminellen Regime in Peking überantworteten. Bei jedem anderen Volk wären schon längst Revolten ausgebrochen.
    Tsui hörte mit dem Stirnrunzeln auf und fing zu lächeln an. Chan fragte sich, ob die winzigen Diamanten in seinen Augen unterdrückte Tränen waren. »Sie haben meine Unterstützung – und meinen Segen. Aber bitte vergessen Sie nicht, daß wir nur eine kleine Gruppe sind.«
    »Wer? Die Chinesen?«
    »Nein, die freien Chinesen. Ich fürchte, wir müssen Kompromisse schließen.« Chan nahm noch einen Schluck Bier. »Wenn die Ermittlungen weitergeführt werden dürfen, müssen Sie enger mit Riley zusammenarbeiten.«
    Chan sagte ein kantonesisches Wort, das dem kurz zuvor von Tsui übersetzten entsprach. Tsui mußte lachen.
    Als sie sich auf der Queen’s Road trennten, war die U-Bahnstation Central menschenleer. Chan ging die Hauptstraße ziellos in westlicher Richtung hinunter. Angst, nicht die Nacht, hatte die Menschen von den Straßen vertrieben: Es gingen Gerüchte, daß der Taifun in der Nacht bis auf Stärke acht anschwellen konnte. Noch war es nicht soweit, doch der Wind riß bereits an Chans Haaren, und er mußte sich dagegenstemmen, als er, ganz allein mit seinen Gedanken, weitermarschierte. Die Araber fürchteten die Sonne, die Russen die Kälte und die Kalifornier Erdbeben; in Südostasien konnte der Wind zu einem wilden Tier werden, das stärker war als jedes Haus. Chan hatte einmal ein modernes chinesisches Gedicht gelesen, in dem der Wind mit einer Milliarde unsichtbarer Menschen auf der Flucht verglichen wurde, die alles, was ihnen in den Weg kam, niedertrampelten. Der Dichter hatte diesen Vergleich nicht weiter erklären müssen: In der Mythologie wird der Wind dem Drachen gleichgesetzt, und der Drachenthron hatte dem Kaiser von China gehört.
    In dieser Nacht allerdings hatte Chan das Gefühl, daß Alan die Richtung gewechselt hatte, wie Taifune es so oft tun, und deshalb hatte er die Straßen für sich. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal soviel freien Raum erlebt hatte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, als hätte man die Lichter der Stadt einzig und allein für ihn angelassen. Eine Chromsäule an der Connaught Road spiegelte das Licht wider, das aus einem leeren Peking-Restaurant drang: In der leuchtenden Säule bevölkerten fünfhundert zersplitterte und vom Wind zerzauste Chans eine Stadt voll greller Lichter und kleiner

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