Die letzten Tage von Pompeji
Vergnügungsplätzen jener lebhaften Stadt zu begleiten, die der Genußsucht Tag und Nacht Abwechslung boten. Damals wie noch jetzt im Süden (denn kein Land vielleicht hat so viel von seiner Größe verloren, und so viel von seinen Sitten beibehalten) war es eine Lieblingsgewohnheit der Italiener, sich an den Abenden zu versammeln, und während sie unter den Säulengängen der Tempel oder im Schatten der die Straßen bekränzenden Baumgruppen eine Musik oder den Vortrag irgend eines erfinderischen Erzählers anhörten, begrüßten sie den aufsteigenden Mond mit Libationen von gefrornem Wein und mit Gesängen. Glaukus fühlte sich zu selig, um ungesellig zu sein; er sehnte sich, dem Übermaß der Freude, das ihn erdrückte, Luft zu machen. Gerne ging er auf den Vorschlag seiner Freunde ein, und lachend schritten sie miteinander die belebten und schimmernden Straßen hinab.
Unterdessen hatte Nydia zum zweitenmale das Haus Ione's, die längst fortgegangen war, erreicht. Sie fragte gleichgültig, wohin sich Ione begeben habe.
Die Antwort, die sie empfing, befremdete und erschreckte sie.
»Nach dem Hause des Arbaces – des Egypters? Unmöglich!«
»Ganz gewiß, meine Kleine,« sagte die Sklavin, die auf ihre Frage geantwortet hatte, »sie kennt den Egypter schon lange.«
»Schon lange! Ihr Götter! Und doch liebt Glaukus sie!« murmelte Nydia bei sich selbst; »und hat,« sagte sie laut, »hat sie ihn früher schon oft besucht?«
»Nie zuvor,« antwortete die Sklavin. »Wenn übrigens all die Lästerungen, die ihn Pompeji über ihn im Umlaufe sind, Grund haben, so wäre es vielleicht besser, wenn sie sich auch heute nicht hingewagt hätte. Aber meine arme Herrin hört Nichts von dem, was zu uns gelangt; das Geplauder des Vestibulums dringt nicht in das Peristyl[Terenz] .«
»Nie zuvor,« wiederholte Nydia; »bist Du gewiß?«
»Gewiß! meine Kleine; aber was geht das Dich oder uns an?«
Nydia besann sich einen Augenblick, stellte sodann die Blumen, die sie trug, nieder, rief dem Sklaven, der sie begleitet und verließ das Haus, ohne ein weiteres Wort zu sprechen. Erst nachdem sie den halben Weg zu dem Hause des Glaukus zurückgelegt hatte, brach sie das Stillschweigen und selbst dann murmelte sie für sich nur die Worte: »Sie hat offenbar durchaus keine Ahnung von den Gefahren, in die sie sich stürzt. Ich Thörin – soll ich sie retten? – Ja, denn ich liebe Glaukus mehr als mich selbst.«
Als sie bei dem Haus des Atheners anlangte, erfuhr sie, daß er mit einigen seiner Freunde ausgegangen sei, wohin aber, wußte ihr Niemand zu sagen; nur vermutheten seine Leute, er werde nicht vor Mitternacht zurückkehren.
Die Thessalierin seufzte schwer; sie sank auf einen Sitz in der Halle, und bedeckte das Gesicht mit den Händen, als ob sie ihre Gedanken sammeln wollte.
»Da ist keine Zeit zu verlieren,« dachte sie, und sprang auf. Zu dem Sklaven, der sie begleitet hatte, wandte sie sich mit den Worten: »Weißt Du nicht, ob Ione einen Verwandten oder einen vertrauteren Freund in Pompeji hat?«
»Wie, beim Jupiter!« antwortete der Sklave, »bist Du einfältig genug, um so Etwas zu fragen? Jedermann in Pompeji weiß, daß Ione einen Bruder hat, der, obwohl jung und reich, (unter uns gesprochen) närrisch genug war, ein Priester der Isis zu werden?«
»Ein Isispriester! o Götter! Sein Name?«
»Apäcides.«
»Jetzt weiß ich Alles,« flüsterte Nydia, »Bruder und Schwester sollen also Beide geopfert werden. Apäcides. Ja, den Namen hörte ich in – – ha! er kennt also die Gefahr, die seine Schwester umringt, genau; ich will zu ihm.«
Bei diesem Gedanken sprang sie auf, ergriff den Stab, der immer ihre Schritte lenkte, und eilte zu dem benachbarten Altare der Isis.
Bis sie unter dem Schutz des freundlichen Griechen gekommen war, hatte dieser Stab hingereicht, das arme blinde Mädchen von einem Ende Pompeji's zum andern zu leiten. Jede Straße, jede Wendung in den belebteren Theilen waren ihr bekannt, und da die Einwohner eine zärtliche, halb abergläubische Verehrung für solche Unglückliche hegten, so hatten die Vorübergehenden jederzeit ihren ängstlichen Schritten Platz gemacht. Das arme Mädchen ließ sich nicht einfallen, daß sie in ganz kurzer Zeit in ihrer Blindheit eine Beschützerin und Führerin finden sollte, die sicherer war, als das schärfste Auge.
Seit sie jedoch unter dem Dache des Glaukus lebte, hatte dieser einen Sklaven angewiesen, sie überall hin zu begleiten; und der arme,
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