Die letzten Tage von Pompeji
Zauber stieg ein Tisch aus dem Fußboden in die Höhe; gleichzeitig erhob sich zu den Füßen Ione's ein Ruhebett oder ein Thron mit einem karmesinroten Baldachin, und in demselben Augenblicke tönte hinter den Vorhängen eine unsichtbare und überaus weiche Musik hervor.
Arbaces setzte sich zu den Füßen Ione's, und Kinder, jung und schön, wie Liebesgötter, warteten bei dem Feste auf.
Das Mahl war vorüber, die Musik sank in einen sanften und gedämpften Ton herab, und Arbaces redete nun seinen schönen Gast folgendermaßen an: »Hast Du nie in dieser dunkeln und ungewissen Welt – hast Du nie, meine Schülerin, ein Verlangen gefühlt, nach Jenseits zu blicken? Hast Du nie gewünscht, den Schleier der Zukunft zu lüften, und an der Küste des Geschickes die Schattenbilder der Dinge, die da kommen sollen, zu schauen; denn nicht nur die Vergangenheit hat ihre Geister, auch jedes künftige Ereignis hat sein Gespenst, seinen Schatten. Wenn seine Stunde kömmt, so tritt dieser Schatten ins Leben ein, wird körperlich und wandelt in der Welt umher. So gibt es also in dem Lande jenseits des Grabes stets zwei ungreifbare und geistige Gäste – die Dinge, die da kommen sollen und die Dinge, die da waren. Wenn wir durch unsere Weisheit in jenes Land einzudringen vermögen, sehen wir die Einen sowohl als die Andern, und lernen, gleich mir , nicht nur die Geheimnisse der Todten, sondern auch das Geschick der Lebenden kennen.«
»Gleich Dir! – Reicht menschliche Weisheit so weit?«
»Willst Du mein Wissen prüfen, Ione, und die Darstellung Deines eigenen Schicksals schauen? Es ist dies ein ergreifenderes Drama, als irgend eines von Äschylus, und ich habe es für Dich vorbereitet, wenn Du die Schatten ihrer Rolle spielen sehen willst.«
Die Neapolitanerin zitterte; sie dachte an Glaukus und seufzte, während sie zitterte; sollten ihre Lebenspfade vereinigt werden? Halb zweifelnd, halb gläubig, halb von Ehrfurcht, halb von Neugierde erfüllt bei den Worten ihres seltsamen Wirthes, blieb sie einige Augenblicke stille und antwortete sodann: »Es könnte zurückschrecken – könnte mich entsetzen – die Kenntnis der Zukunft wird vielleicht nur die Gegenwart verbittern.«
»Nicht also, Ione, ich selbst habe auf Dein künftiges Loos geschaut und die Geister Deiner Zukunft sonnen sich in den Gärten des Elysiums, unter Asphodillen und Rosen winden sie die Blumenkränze Deines süßen Geschickes und die gegen Andere so hartherzigen Parzen spinnen für Dich nur den Faden des Glückes und der Liebe. Willst Du also kommen und Deine Bestimmung schauen, damit Du Dich ihrer zum Voraus freuen mögest?«
Wiederum flüsterte das Herz der Ione den Namen des Glaukus, und sie ließ eine kaum hörbare Zustimmung vernehmen. Der Egypter stand auf, nahm sie bei der Hand und führte sie durch das Banketzimmer. Wie durch Geisterhände wurden die Vorhänge auf die Seite geschoben und die Musik erschallte in lebhafteren und freudigeren Tönen. Sie schritten durch einen Säulengang, zu dessen beiden Seiten Fontänen ihr duftendes Wasser in die Höhe warfen, und stiegen sodann auf breiten und bequemen Stufen in einen Garten hinab. Der Abend hatte begonnen, der Mond stand schon hoch am Himmel und jene frischen Blumen, die bei Tag schlafen und die Nachtluft mit unbeschreiblichen Wohlgerüchen erfüllen, waren in den durch das dichte, von den Sternen beleuchtete Gebüsch führenden Alleen reichlich ausgestreut, oder lagen in Körbchen gesammelt wie Opfergaben zu den Füßen der Statuen, die ihnen auf ihrem Wege zahlreich entgegen schimmerten.
»Wohin willst Du mich führen, Arbaces?« sagte Ione verwundert.
»Nur dorthin,« antwortete er, auf ein kleines Gebäude am Ende der Allee zeigend, »es ist ein den Parzen geweihter Tempel – unsre Gebräuche erheischen solch heiligen Boden.«
Sie traten in eine schmale Halle, an deren Ende ein schwarzer Vorhang hin; Arbaces hob ihn in die Höhe, Ione trat ein und fand sich in völliger Dunkelheit.
»Sei ohne Furcht,« sagte der Egypter, »es wird gleich hell werden,« und während er sprach, verbreitete sich nach und nach ein sanftes und warmes Licht. Nachdem es sich über jeden Gegenstand ergossen, schien es Ionen, daß sie sich in einem von allen Seiten schwarz behangenen Gemache von mäßiger Größe befinde; ein Ruhebett von derselben Farbe stund neben ihr. In der Mitte des Zimmers befand sich ein kleiner Altar, auf welchem ein bronzener Dreifuß stand. An der einen Seite war auf einer hohen
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