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Die letzten Worte des Wolfs

Die letzten Worte des Wolfs

Titel: Die letzten Worte des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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ihr könntet königliche Ermittler sein oder etwas anderes Unheimliches. Ohter hat seine Augen und Ohren überall in der Stadt. Da er nichts weiß von den Walen, muß er denken, eure Fragen über ihn und Wandry und das Meer haben mit seinen Krabben zu tun und wie verwerflich er sie fängt. Ohter befürwortete, daß ihr bei mir seid, wenn die Welle kommt. Er wollte uns alle verschwinden lassen, euch, mich und Geywan. Das Mammut aber hat das Rad der Ereignisse in Bewegung gesetzt, du hast das getan. Das mußt du unbedingt begreifen: Unterschätze niemals den Effekt, den du selbst auf die Welt um dich herum hast! Du ordnest die Dinge um dich herum an. Und ein Mammut hinterläßt eine besonders tiefe Spur.«
    Rodraeg mußte das erst einmal auf sich wirken lassen. Die Gezeitenfrau schien alles zu wissen, was in Wandry vor sich ging. Die Wellen, die Krebse und die Fische flüsterten es ihr zu. Sie irrte sich nicht. Womöglich stand sogar einer von den Haien auf Ohters heimlicher Gehaltsliste. Der Herrscher des Rotleuchtenviertels und des organisierten Bandenwesens war die ganze Zeit über gut über sie unterrichtet gewesen. Über jeden einzelnen von ihnen. Und über ihre Konferenzen im Ain Land wahrscheinlich auch. Möglicherweise war auch Bestar nicht zufällig von Geywan angesprochen worden, sondern in Ohters Auftrag, um mindestens einen der Fremden zum Ort des Geschehens zu locken. Die Flutwelle war erst gekommen, nachdem sie alle beim Haus der Gezeitenfrau angelangt waren.
    Sie unterbrach den Strom seiner Gedanken, indem sie weitere Turbulenzen erzeugte.
    Â»Ein ausgestorbenes Mammut, das herumläuft und ausgestorbene Wale zu retten trachtet, ist wie eine Irritation, ein Strudel in einem ansonsten gleichförmig trägen Gewässer. Etwas rührt dort, etwas erzeugt Unruhe, und um den Strudel herum geraten die Dinge in einen völlig neuartigen Sog. Es hat andere unerklärliche Begebenheiten gegeben, seitdem es euch gibt, und es werden sich weitere Rätsel ereignen.«
    Â»Auf unserer Hinreise …«, sagte Rodraeg nachdenklich, »wurden wir von einem Wesen begleitet, das eine Art Werwolf war. Es wurde getötet – von Jägern aus jenem Traum, der uns den Namen Mammut gab.«
    Â»Die zwei Seiten, jahrhundertelang getrennt, bekommen Risse. Wunder und Zeichen wandeln leibhaftig unter uns Lebendigen. Ihr seid nur eines davon.«
    Â»Ich habe noch so viele Fragen, mein Kopf will platzen.«
    Â»Später ist noch Zeit für Antworten. Ruh dich jetzt aus, mein Junge, wie die anderen das tun. Die Nacht wird lang. Ihr müßt den Gefangenen befreien, und danach werden wir alle gemeinsam die Wale willkommen heißen und sanft zur Umkehr leiten. Lies in dem Buch, wenn du dich einsam fühlst.«
    Â»Was hat es mit diesem Buch auf sich? Wer ist dieser Irregeher, der es geschrieben hat?«
    Â»Dieses Buch ist wie alle Bücher: Du brauchst es nur zu lesen, dann wird es sich dir bereitwillig öffnen.«
    Allein blieb Rodraeg auf dem Felsen zurück. Tatsächlich blätterte er in dem wertvollen Buch. Etwa in der Mitte schlug er es auf. Da er jetzt nicht die Zeit hatte, es vollständig zu lesen, war eine Seite so gut wie die andere. Das neunundsechzigste von insgesamt einhundertfünfunddreißig Kapiteln. Es trug den Titel Die Bestattung.
    Die mächtigen Taljen haben ihre Pflicht nun getan. Der abgehäutete weiße Körper des geköpften Wals leuchtet wie ein Marmortempel; zwar ist seine Farbe verändert, doch an Masse hat er nicht merklich verloren. Er ist auch jetzt noch ein Koloß. Langsam treibt er weiter und weiter davon, während rings um ihn das Wasser gepeitscht und zerfetzt wird von den unersättlichen Haien und die Luft über ihm aufgerührt von den Raubflügen kreischender Meeresvögel, deren Schnäbel wie tausend höhnische Dolche in dem toten Riesen bohren. Das übergroße, weiße, enthauptete Phantom treibt schon fern und immer ferner, und um jeden Mannsschritt Weges, den es dahintreibt, wimmeln Felder von Haien und Türme von Vögeln mit stetig wachsendem mörderischen Getöse. Stunden um Stunden ist das widerliche Bild von dem fast stilliegenden Schiff aus zu sehen. Unter dem reinen, milden Blau des Himmels, auf dem schönen Antlitz der heiteren See, von übermütig spielenden Brisen bewegt, treibt diese schwere Masse Tod, treibt und treibt, bis sie sich in

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