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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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einen Seite des Atlantiks ist er ein Massenmörder und hier in Neuengland ein kleiner Gauner!«
    Vom Lagerfeuer herüber drang Gelächter, Gordon
    Malkovech war auf einen Baum geklettert, saß auf einem ausladenden Ast und klimperte auf der Gitarre.
    »Rutsch ein wenig zur Seite!«, sagte Sandy, worauf George Lincoln Buch, Papier und Füller in seinem Rucksack verstaute.
    Schweigend hockten nun beide auf der Decke, sahen hinaus auf die weiten Wasser des Cayuga.
    »Sandy, wir müssen miteinander sprechen!«
    »Ich weiß«, antwortete sie und wandte sich ihm zu, »aber ich bin noch nicht so weit!«
    Es war ihr sichtlich unangenehm.
    »Sandy«, fing er nochmals an, »ich weiß, dein Vater bedeutet dir alles. Du vergötterst ihn, wie er dich vergöttert, und du misst jeden anderen Mann an ihm. Ich kann und werde aber niemals ein Ersatzvater für dich sein. Und ich will es auch nicht, selbst wenn ich es könnte! Erwarte nicht zu viel von einem Mann! Es ist das lange Zusammenwachsen, das den Wert ausmacht. Das Teilen, das Vergeben, die langsam gewonnene Geduld, das Heranreifen der Zärtlichkeit, das Gefühl des Gebrauchtwerdens. Ohne all das ist es nur Leidenschaft, und eine Beziehung, deren einziger Kitt die Leidenschaft ist, wird wortlos und macht die Menschen stumm und einsam. Aber gesegnet sei die Leidenschaft, wenn sie die Woge ist, die uns überschwemmt, die uns nicht fortreißt, sondern den Boden für die Liebe bereitet. Dann ist sie ein Geschenk nicht nur für die beiden Liebenden, sondern für alle.«
    George Lincoln blickte in ihre haselnussfarbenen Augen und gab ihr einen leichten Kuss auf die Nasenspitze.
    »Du bist jetzt sechsunddreißig, ich neunundvierzig und es gibt für manche Dinge biologische Grenzen. Du weißt schon, was ich meine.« Er erhob sich, warf ihr einen zärtlichen Blick zu, nahm einen flachen Kieselstein auf und ließ ihn übers Wasser flitzen.
    Sandy zog ihre Beine an und stützte den Kopf in die Hände.
    Sie wusste, dass er Recht hatte, und es plagte sie das schlechte Gewissen, ihn nun schon so lange hinzuhalten. Seit wann kannten sie sich eigentlich? Das erste Mal begegnet waren sie sich vor etwa sechs Jahren, als sie zum Studium nach Cornell gekommen war. Nach und nach hatte sich eine Freundschaft entwickelt. Wann daraus mehr geworden war, konnte sie nicht genau sagen. Von Cornell aus war sie als Lehrerin nach Ypsilanti in Michigan gegangen, wohin er ein Bild von sich nachschickte, das ihr aber nicht gefiel, weil er so humorlos und ernst dreinsah. Trotzdem hatte sie sich mit einem Strauß getrockneter Blumen revanchiert. Vor nun über einem Jahr war sie nach Cornell zurückgekehrt, wo sie nun Philosophie unterrichtete.
    Hat er dir eigentlich den Hof gemacht?, überlegte sie. Diese Frage konnte sie beinahe mit Entschiedenheit verneinen.
    Jedenfalls nicht in der Art, wie man sich das im Allgemeinen vorstellte. Doch er war da, wenn sie ihn brauchte, unaufdringlich und selbstverständlich.
    »Hey, Sandy, guten Morgen! Was ist los?« Es war Morse Stephens, der Engländer, Burrs Kollege und Freund, in dessen Äußerem aber noch nie jemand einen Briten vermutet hatte, sondern fast immer einen Franzosen. Sandy musste lächeln, als sie zu den anderen trat und Stephens seinen kleinen, zerlegbaren Rasierapparat auseinander nahm und gewissenhaft säuberte. Selbst hier heraußen legte er Wert auf eine Rasur, besonders was sein schmales Oberlippenbärtchen anbelangte.
    Es passte zu ihm, sein Aussehen. Schließlich war er Spezialist für die Französische Revolution und er hatte aus England einen riesigen Bestand an Büchern und Dokumenten darüber nach Cornell mitgebracht.
    »Wo ist George Lincoln?«, wollte Stephens wissen.
    »Keine Ahnung. Auf einmal war er verschwunden.« Sandy stellte sich ans Feuer, über dem an einem dreibeinigen Gestell der große Wassertopf hing.
    Morse Stephens war mit seiner Morgentoilette fertig, langte nach der Axt, zerkleinerte einen armdicken Ast und warf ein paar Prügel in die Glut. Funken stoben knisternd auf, das Feuer saugte den Saft mit einem zischenden Simmern aus dem feuchten Holz und verwandelte den leichten Rauch in beißenden Qualm. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.
    »In Wirklichkeit sind es doch Ausflüchte. In Wirklichkeit hast du Angst vor deinem Vater und dem Gerede in Cornell!«, ging sie mit sich selbst ins Gericht. »Du willst nur der Auseinandersetzung mit Vater aus dem Weg gehen, weil du seinen Standpunkt kennst! Aber du kannst nicht in

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