Die Lichtfaenger
beschlossen, dem höchsten Berg Europas einen Besuch abzustatten. Am Col de Forclaz hatten sie bei Hirten in einer Almhütte übernachtet und waren nun auf dem Steiglein unterwegs, das hinüber zum Col de Balme führte.
»Wie kann man so schönen Bergen so hässliche Namen geben: Maudit – verflucht, Mont Maudit, Combe Maudit, Aiguille du Diable, Corne du Diable…«, meinte Bradley, während er stehen blieb und sich den Schweiß von der Stirne wischte.
Am kleinen Charamillonsee legten sie eine Rast ein, tranken von dem klaren, eiskalten Wasser, setzten sich dann auf die warmen Felsen und machten sich über die Butterbrote und das gedörrte Obst her.
»Was meint ihr?«, sagte Bradley, blinzelte zufrieden in die Sonne und warf übermütig einen Stein in den See, »eine Tour am Mont Blanc ist doch kein richtiges Unternehmen, ohne dass wir auf einem Gletscher waren! Wozu haben wir uns dann überhaupt Eispickel für teures Geld ausgeliehen?«
Den anderen leuchteten beide Argumente spontan ein.
Meriwether packte seinen Pickel, fasste ihn an der Haue, warf sich in Pose und zeigte theatralisch mit dem Schaft nach oben hinauf zu den blau schimmernden Eisbrüchen.
»Männer, lasst es uns wagen!«, rief er übermütig, »Lasst uns Abenteuer bestehen, von denen wir noch unseren Urenkeln erzählen werden!«
Kurz entschlossen stiegen sie hinauf durch das verblockte Geröll, wichen dann seitlich auf die Moräne aus, in deren Schutt sie mühsam höher stapften, stiegen dann hinab auf den zerschrundenen Gletscher, sprangen über die Spalten, in denen tief unten das Schmelzwasser gurgelte und rauschte. Obwohl sie keine Steigeisen mit sich führten, war es ein angenehmes Fortkommen. Trotz der hier oben herrschenden kühlen Temperatur hatte es aufgefirnt und der körnige Schnee bot den Schuhsohlen ausreichenden Halt. Immer höher und höher stiegen sie, wilde Zacken stachen wie unzählige Finger ins Blau und steile Grate bäumten sich, als wollten sie sagen: Bis hierher, du kleines Menschlein – und nicht weiter! Wie zur Ermahnung löste sich auf der anderen Seite ein Eisturm, schob sich zuerst langsam, dann immer schneller werdend auf die Kante zu, kippte, fiel beinahe lautlos an die zwei-, dreihundert Fuß durch die Luft, explodierte dann regelrecht zwischen den Felsblöcken. Der Lärm war ohrenbetäubend, während sich das Serac in eine riesige, weiße Wolke verwandelte, die lange über dem Wandfuß stehen zu bleiben schien.
Der erste, der die Sprache wieder fand, war Bradley. »Wenn ich das meinen Urenkeln erzähle – das glauben sie mir nicht!
Das ist ja richtig gefährlich hier!«, meinte er und spähte verunsichert nach oben. »Ich denke, es ist besser, wir verschwinden von da!«
Alle drei sahen sich wortlos an und George Lincoln machte sich als Erster an den Abstieg. Was beim Aufsteigen noch leicht erschienen war, verkehrte sich nun ins Gegenteil.
Zunehmend steiler wurde der Gletscher im unteren Teil, Burr wich nach rechts aus, dann fiel ihm aber ein, dass sie sich eigentlich auf die andere Seite halten müssten. Argentiere lag talaus, also nach links. Die Absätze fest in den Schnee stampfend, tasteten sie sich über die Schründe, rammten den Pickel bei jedem Schritt in den eisigen Untergrund, krochen eigentlich mehr als sie gingen über die ihnen nun endlos erscheinende und bedrohlich geneigte Fläche.
»Wo sind wir eigentlich?« Es war Meriwether, der zaghaft die Frage stellte, kaum dass sie wieder felsigen Boden unter den Füßen hatten. Beide sahen auf Burr, schließlich war er der Älteste, dazu noch Professor und ein Professor hatte einfach auf alles eine Antwort zu wissen, selbst wenn er in Wirklichkeit keine Ahnung hatte.
»Ich weiß es nicht!«, antwortete Burr kleinlaut, und als er die betroffenen Gesichter sah, fügte er hinzu: »Jedenfalls nicht genau!«
Von hier aus war nicht zu erkennen, wie es weitergehen sollte. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass sie schon ziemlich weit unten sein müssten. Andererseits hatte ihn der heutige Tag gelehrt, dass hier andere Dimensionen galten, die Entfernungen immer größer waren, als sie ursprünglich geschätzt hatten.
»Bleibt hier, ich schaue mich einmal um!«, sagte er dann entschlossen, verschwand um einen riesigen Felsblock, kam dann aber gleich wieder zurück. Der Professor brauchte nichts zu sagen. Sein Gesichtsausdruck genügte, um seinen Begleitern das Herz in die Hosen rutschen zu lassen.
»Und?«
»Wir müssen abklettern!«
Die beiden sahen sich
Weitere Kostenlose Bücher