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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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denken.«
    Seine Worte ließen Dora aufhorchen. Was redete er da? Wieso sprach er vom »fernen Preußen«, wo er doch seit Jahrzehnten mitten in Preußen lebte? Welche Pflicht rief ihn fort aus seiner fränkischen Heimat? Das war doch alles schon lange vorbei. Königsberg war seine Heimat, dort hatte er seine Verpflichtungen. Argwöhnisch musterte sie ihn.
    Er erwiderte ihren Blick nicht mehr, schaute stattdessen in eine rätselhafte Ferne. Ein Schmunzeln umspielte seinen sonst so strengen Mund. Ein letztes Mal färbte eine sanfte Röte seine Wangen. Das Antlitz war noch hagerer als sonst. »Nie werde ich je vergessen, was wir füreinander empfunden haben. Selbst in zwanzig oder dreißig Jahren noch werde ich daran denken, was du mir einfachem Kreuzherrn geschenkt hast – deine ganze Liebe, deine kostbare Unschuld, dein ganzes Sein. Lass mich noch einmal dein bernsteingoldenes Haar berühren. Fortan werde ich in jedem Bernstein das Spiegelbild deiner Seele sehen.«
    Er hob die Hand, um sie kurz darauf kraftlos sinken zu lassen. Mehrmals versuchte er Luft zu holen, noch einmal tief durchzuatmen. Schließlich bäumte er sich jäh auf, verharrte einige Augenblicke in der Luft, um dann zur Seite zu kippen.
    Fassungslos starrte Dora ihn an, versuchte fieberhaft den Sinn seiner letzten Worte zu ergründen. An sie waren sie jedenfalls nicht gerichtet.
    Sie beugte sich über ihn, schloss ihm die Lider, ließ die Hand eine Weile auf seinem Antlitz ruhen, bis die letzte Wärme daraus gewichen schien.
    Als sie sich wieder auf den Schemel setzte, lachte sie auf. Ihr törichter Schafgarbentraum fiel ihr ein, der ihr Veit Singeknecht als ihren wahren Liebsten offenbart hatte. Sie dachte an die anregenden Gespräche, die sie mit dem Nürnberger Baumeister über die Kunst an den Ordensburgen und die wahre Leidenschaft der Meister geführt hatte. All die verbotene Nähe, die ihr Herz höherschlagen ließ. Was hatte sie nicht alles getan, um diese Gefühle ein für alle Mal im Keim zu ersticken. Hatte gemeint, darüber Urbans inneres Glühen endlich zutage gefördert zu haben. Anscheinend aber war sie nicht die Erste gewesen, der das gelungen war. Warum sonst gedachte er in seiner letzten Stunde auf Erden nicht ihr, seiner angetrauten Ehefrau, sondern einer unbekannten bernsteinblonden Fremden in seiner fränkischen Heimat, die er als junger Kreuzherr an der Seite Herzog Albrechts verlassen hatte? War das Unglück vielleicht gar nicht Gottes Strafe für ihre sündigen Gedanken, sondern für ganz andere Sünden, die ihr lieber Gemahl einst begangen hatte?
    »Dora?« Grets Stimme ließ sie herumfahren. »Ist es vorbei?«
    Auf Zehenspitzen kam die Schwägerin zu ihr, betrachtete erst einige Atemzüge lang schweigend Urban, dann Dora, und legte ihr schließlich tröstend die Hand auf die Schulter. Gerührt von der unverhofften Nähe, sah Dora zu ihr auf.
    Nicht zum ersten Mal sprang ihr die verblüffende Ähnlichkeit zwischen ihnen beiden ins Auge. Gret war ebenso groß und bis auf den üppigen Busen genauso zierlich gebaut wie sie selbst. Das schmale, wohlgeformte Gesicht mit der langen, fein geschwungenen Nase sowie das Kinn waren auffallend gleich. Lediglich ihre Augen- wie ihre Haarfarbe unterschieden sich voneinander. Eine Laune der Natur hatte Dora ein blaues und ein grünes Auge beschert, zudem besaß sie dunkelblondes, welliges Haar. Grets Haarschopf dagegen leuchtete selbst im Kerzenschimmer auffallend bernsteingolden. Dora schnappte nach Luft. Langsam wandte die Schwägerin den Kopf, sah sie aus ihren hellblauen, nein, blassblauen Augen an. Der Blick war der Urbans, schoss es ihr durch den Kopf.
    Plötzlich war ihr alles klar. Wie hatte sie das nicht eher sehen wollen? Es passte alles genau. Gret stammte aus Nürnberg, wo Urban sich vor seinem abermaligen Aufbruch mit Albrecht vor zwanzig Jahren aufgehalten hatte. Über ihren Vater wusste sie nichts zu sagen, ihre Mutter war kurz nach der Geburt gestorben. Das musste die rätselhafte Frau mit dem bernsteinfarbenen Haar gewesen sein, von der Urban in seinen letzten Atemzügen gesprochen hatte. Sie wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Noch sträubte sich alles in ihr, die Bedeutung dieser Erkenntnis zu begreifen.
    Ein vorsichtiges Pochen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Geschwind eilte Gret hin, um zu öffnen. Keuchend schob sich Jörg herein, Haar und Kleider noch immer vom Mörtelstaub der Baustelle bedeckt, ebenso die breiten Kuhmaulschuhe vom Dreck

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