Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
dass Steinhaus es entgegen seiner Ankündigung vor zwei Tagen in Marienburg auf einmal doch nicht mehr so eilig hatte, die Fahrt fortzusetzen, um am Abend wie geplant Graudenz zu erreichen. Überraschend hatte er einen wichtigen Besuch bei einem befreundeten Kaufmann erwähnt und war spurlos verschwunden. Dora hatte daraufhin Polyphemus’ Offerte aufgegriffen, den nahen Dom und die Bischofsburg zu besichtigen. Angeblich wusste der Bibliothekar einen alten Gefährten, der ihnen die Pforten ins Innere öffnen würde. Das einzig Erfreuliche daran war, dass Pfarrer Tönnies sich den beiden angeschlossen hatte. So blieb Mathilda ein mühsames Gespräch mit dem gelblichen, aufgedunsenen Kirchenmann erspart. Trotzdem empfand sie es als Zumutung, allein in der Gaststube zurückzubleiben. Oder sollte sie sich etwa unter die grobschlächtigen Fuhr- und Wachleute mischen, die im Hof beieinanderhockten und würfelten?
Angewidert von der Vorstellung, spitzte sie den Mund, beschleunigte das Trommeln der Finger auf der Tischplatte. Es hallte durch die gesamte Gaststube. Sie ähnelte den vielen anderen, die Mathilda im Lauf der inzwischen eine Woche dauernden Reise kennengelernt hatte. Der längliche Raum war von einem schlichten Kreuzgewölbe überspannt, das auf zwei schmucklosen Säulen ruhte. Dunkle, schmale Tische und lange Bänke boten Platz für mehrere Dutzend Gäste. Im hinteren Teil des Raums befand sich die gemauerte Herdstelle mit einem riesigen kupfernen Suppentopf, der Rauchfang darüber war rußgeschwärzt. Gerade ging eine Magd der Wirtsfrau beim Anrichten der Suppe zur Hand. Fette Rauchschwaden stiegen aus dem Kessel. Das Fleisch schien eine Spur zu scharf angebraten. Die Wirtsfrau schimpfte, die Magd versuchte zu retten, was noch zu retten war, und rührte heftig mit dem Löffel in dem Topf. Davon schwappte die Brühe über den Rand, verdampfte zischend im Feuer, wovon die Flammen höherschlugen. Mathilda meinte würgen zu müssen, so unangenehm war ihr der Bratengeruch zu dieser frühen Tagesstunde. Schützend legte sie eine Hand vor Mund und Nase, fächelte sich mit der anderen Luft zu. Ihr Blick wanderte hinüber zum Schanktisch, an dem eine zweite Magd einen jungen Knecht anwies, das Bierfass anzustechen. Allzu geschickt stellte sich der Bursche dabei nicht an. Dieses Mal war es die Magd, die lauthals ihrem Unmut Luft machte. Je länger Mathilda sie bei ihrem Schimpfen beobachtete, je nachdenklicher wurde sie.
Die Frau mochte etwa im gleichen Alter sein wie sie, das meinte sie aus ihren Gesichtszügen abzulesen. Allerdings war ihr Haar bereits weiß und der Rücken erschreckend krumm. Mathilda runzelte die Stirn. Jäh traf sie ein bitterer Gedanke: So also mochte eine enden, die keinen Vetter dritten Grades in einer entfernten Stadt hatte, der eine Wirtschafterin brauchte. Solange der Vetter unverheiratet war, ging das gut. Plötzlich musste sie verzweifelt auflachen. War es wirklich gutgegangen mit Urban und ihr als seiner Wirtschafterin? Oder war sie da einer Täuschung aufgesessen, an der sie auch wider besseres Wissen festhalten wollte? Sicher, nach Urbans Heirat hatten sich die Karten neu gemischt, insbesondere, nachdem der Vetter unerwartet gestorben war. Andererseits fühlte sie auf einmal eine gewisse Unsicherheit in sich, ob ihr Leben an Urbans Seite auch davor schon wirklich gut verlaufen war. Aus seiner Sicht traf das sicher zu, aber für sie selbst? Viel zu sehr hatte sie sich damit begnügt, für Urbans Wohl zu sorgen, zu tun, was ihm zupasskam. Richtig gedankt hatte er ihr das nie, stattdessen vor zwei Jahren die blutjunge Dora geheiratet. Was das auf lange Sicht für sie bedeutete, wusste sie noch nicht zu sagen. Dora war unberechenbar, wie ihr überstürzter Aufbruch nach Krakau bewies. Ebenso unberechenbar war, wie sie ihr ihre Dienste für Urban je danken würde. Ein weiterer Blick auf die verhärmt aussehende Magd genügte Mathilda, sich ihres bisherigen Glücks zu vergewissern, das ihr ein solch elendes Dasein vorerst erspart hatte. Wie eng aber Glück und Leid beieinanderlagen, durfte sie niemals vergessen. Das Schicksal ließ sich nun einmal nicht gern in die Karten schauen. Niemand vermochte lang im Voraus zu erkennen, welchen Schwenk es für einen bereithielt, erst recht nicht, wenn eine zwanzigjährige Witwe am Ruder saß und von heute auf morgen ihre Laune ändern konnte.
Die Magd verstummte so plötzlich, dass Mathilda es erst viel zu spät bemerkte. Für einen Moment ruhten ihre
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