Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Mathilda einen Blick auf den Fluss. Der erste Lichtstreif des Tages tanzte über das Wasser, verwandelte das träge dahinfließende Wasserband in ein silbern funkelndes Sternenmeer. Die zweitälteste der drei Städte Königsbergs schloss sich im Osten gleich hinter der Mauer der Altstadt an. Ein großer Teil des Löbenichts lag auf dem Berg, bekrönt von der stolz in den Himmel aufragenden Spitze der Barbarakirche. Anders als die meisten einst vom Deutschen Orden gegründeten Siedlungen besaß der Löbenicht kein schnurgerade angelegtes Netz aus Gassen, Häusern und Gärten, sondern glitt den natürlichen Gegebenheiten gemäß in vielen Winkeln, Kurven und Ecken den Hang hinunter, der sacht zu den Ufern des Neuen Pregels auslief.
Über den sanften Wellen des Flusses zogen Möwen ihre Bahnen. Aufgeregtes Schnattern von einem Dutzend Enten begleitete sie. Die braunen und buntgefiederten Wasservögel bauten sich in großer Eile auf dem schmalen Uferstreifen ihre Nester. Fischer ruderten in ihren Booten flussaufwärts dicht an ihnen vorbei. Oberhalb des Löbenichts würden sie die Angeln auswerfen, um Fische für den Markt in der Altstadt zu fangen. Noch war es zu früh, um die hochbeladenen Lastkähne aus Litauen zur Lastadie hinabgleiten zu sehen. Die ersten Schiffe, die während der Nacht am Ufer des Neuen Pregels vertäut gewesen waren, lichteten gerade die Anker. Mit leisen Rufen verständigten sich die Bootsleute, alles zum Ablegen bereitzumachen. Mathilda mochte diese Aufbruchstimmung und bedauerte, sie nicht länger auskosten zu können.
Im Kneiphof herrschte ebenfalls bereits ausgelassenes Frühlingstreiben. Rund um den Petersplatz vor dem Dom hatten die Krämerbuden bereits geöffnet. Vom Rathausturm wehte die rote Marktfahne. Die berüchtigten Kellerschotten aus dem Tragheim machten sich in jedem Winkel mit ihren Körben breit, boten zum Verdruss der übrigen Händler die verschiedensten Waren zu den unglaublichsten Preisen feil. Argwöhnisch beäugten die städtischen Marktaufseher ihr Tun, fanden jedoch so leicht keinen Anlass, einzugreifen.
Der geschäftige Trubel setzte sich in den Bürgerhäusern entlang des Platzes und der anschließenden Straßen fort. Mägde schüttelten Federbetten aus den Fenstern, kehrten den Staub aus den Stuben und putzten in den oberen Geschossen die kostbaren Fensterscheiben aus Glas. Zuhauf waren Dachdecker und Zimmerleute unterwegs, lehnten ihre überlangen Leitern an die Mauern, um auf den Dächern die Frostschäden an den Ziegeln auszubessern, die Festigkeit der gemauerten Schornsteine zu überprüfen oder gar die Möglichkeiten für weitere Aufstockungen zu erkunden. Auf den Straßen wurde das Steinpflaster erneuert. Der strenge Winter und das viel zu rasch einsetzende Tauwetter hatte es an vielen Stellen aufplatzen lassen. Schwere Wagen und schlecht beschlagene Räder hatten ein Übriges getan, die Furchen und Schlaglöcher tiefer auszuwalzen.
»Da sieht man mal wieder, wie viel Geld der Kneiphof hat«, stellte Mathilda fest und stieß mit dem Fuß gegen einen lockeren Pflasterstein, um ihn aus dem Weg zu schieben. »Eine Bürgerschaft mit vielen Kaufleuten ist eben Gold wert. In den anderen beiden Städten Königsbergs gibt es nur auf den wichtigen Straßen und Zufahrten zum Schloss gepflasterte Wege. Rund um den Dom aber wird sogar der Weg zum Abtritt noch gepflastert und gleich bei Frostende wieder instand gesetzt.« Ihr Blick wanderte weiter umher. »Natürlich leben auch die Kneiphofer Handwerker gut davon. Seht nur, wie fleißig der Kaufmann Knipprode sein Haus umbaut. Dank der herzoglichen Bestellungen von Tapisserien aus Flandern ist er kräftig zu Geld gekommen. Auch direkt neben Eurem Elternhaus entstehen neue Häuser. Euer Vater hat es wohl leider wieder nicht geschafft, sich wenigstens bei seinen Nachbarn als Baumeister ins Gespräch zu bringen.«
»Er hat eben keinen leichten Stand«, setzte Dora halbherzig an. »Das Schicksal hat ihm in den letzten Jahren übel mitgespielt. Mutters früher Tod im Kindbett hat ihm arg zugesetzt. Außerdem hat er mit der Baukunst wohl immer schon seine Schwierigkeiten gehabt, sonst fiele es ihm gewiss leichter, neue Aufträge zu erhalten.«
»Nicht jedem passt eben der Schuh, den sein Ahn ihm bereitstellt. Einen anderen anzuziehen traut Euer Vater sich wohl nicht.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
In Dora regte sich Empörung, wie Mathilda mit Genugtuung feststellte. Sie reckte das Kinn, spitzte die Lippen, bevor sie der
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