Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
ausführlicher zu erklären. Was zählt, ist allein, dass die Aufzeichnungen meines Gemahls niemals in Göllners Hände fallen dürfen und dass der alte Veit Singeknecht benachrichtigt werden muss.«
»Bleibt zuversichtlich.« Tönnies versuchte sich von neuem in einem Lächeln. »Dieser Jude aus Kazimierz ist sehr einflussreich. Er wird alles in Eurem Sinne regeln. Übrigens ist es ihm zu verdanken, dass man mich heute zu Euch gelassen hat.«
»Ihr habt recht, dieser Mann tut sehr viel für mich. Dabei kennt er mich nicht einmal persönlich.«
»Das scheint für ihn keine Rolle zu spielen. Ihm geht es allein um Gerechtigkeit. Ihr ahnt nicht, wie viele Eingaben er gemacht, wie oft er beim Rat vorgesprochen hat, bis ihm das Unglaubliche gelungen ist und wenigstens ich zu Euch durfte. Vorgeblich soll ich meinen Einfluss als Priester auf Euch wirken lassen, um Euch zu einem Geständnis zu bewegen.«
»Vorgeblich?« Dora spürte, wie sehr ihr das Wort aufstieß. Zugleich fühlte sie sich zu erschöpft, noch einmal den Mut aufzubringen, einen Lichtstreifen Hoffnung darin zu erkennen.
»Genau!« Aufgeregt sprang Tönnies von seinem Schemel, begann in der engen Zelle auf und ab zu gehen, knetete seine wulstigen Finger und schaute angestrengt auf seine Füße, die in staubüberdeckten Kuhmaulschuhen aus rissigem Leder steckten. Abrupt blieb er stehen. »Schenkt mir Euer Vertrauen, Stöckelin, nur dann kann ich Euch helfen. Natürlich traue ich Euch niemals eine so ungeheuerliche Tat zu wie die, deretwegen man Euch hier eingesperrt hat, das müsst Ihr mir glauben.«
»Dann wisst Ihr es also?«
»Was?« Ihre Frage brachte ihn aus dem Konzept. Überrascht knetete er die Finger umso heftiger, rang mit sich. »Also, mir ist klar, dass ich Euch als Priester kaum dazu bringen kann, dass Ihr Euch selbst als Hexe zu erkennen …«, setzte er umständlich an, um dieses Mal von einem lauten Gepolter vor der Tür gestört zu werden.
Entschlossene Schritte dröhnten durch den engen Flur. Aufgeregte Stimmen erklangen, denen anzuhören war, wie geübt sie im Erteilen von Befehlen waren. Ganz einig schienen sie sich nicht zu sein. Umso mehr bedauerte Dora, die einzelnen Worte nicht zu verstehen. Der dunkle Bass des Büttels brummte etwas, was sich erstaunlich unterwürfig anhörte. Vor der Tür kamen die Schritte zum Stehen. Dora und Tönnies wechselten ratlose Blicke. Ehe sie fragen konnte, ob er wusste, wer dort aufmarschiert war, um ihn wieder abzuholen, rasselte der Schlüssel im Schloss, und die Tür schwang auf.
Der Gerichtsvogt! In der engen Tür wirkte der Mann noch finsterer als bei Tageslicht. Seine riesige Gestalt füllte den gesamten Türrahmen aus und machte es unmöglich, auch nur eine Ahnung von seinem Begleiter zu erhaschen. Breitbeinig, die Daumen in die Schlaufen seines Gürtels gehakt, stand er da, bis in die Spitzen seiner schwarzen Haare von seiner Macht überzeugt.
»Gott zum Gruße!«, blaffte er in die Zelle.
Tönnies erstarrte. Das Auftauchen des hohen Stadtbeamten überraschte ihn mehr als Dora.
»Was sagt sie?«, erkundigte sich der Gerichtsvogt und gab sich größte Mühe, an ihr vorbeizuschauen.
Tönnies biss verlegen auf seine wulstigen Lippen, schien außerstande, dem finsteren Mann auch nur eine brauchbare Silbe zu erwidern.
»Was wird sie schon Neues zu sagen haben«, meldete sich an seiner statt eine zweite Stimme hinter dem schwarzen Riesen, die Dora seltsam bekannt vorkam. Zu ihrem Erstaunen zwängte sich der rothaarige Feliks Baranami an den breiten Schultern des Gerichtsvogts vorbei ins Verlies. Was brachte ihn dazu, hier unten aufzutauchen? Wie seine anderen Kaufmannsgefährten hatte er sie letztens schmählich hängenlassen, mehr noch. Er hatte den Gerichtsvogt erst auf ihre verschiedenfarbigen Augen aufmerksam gemacht und ihn dazu verleitet, sie als Hexe anzusehen.
Voller Abscheu betrachtete sie ihn. Zum ersten Mal stand er aufrecht vor ihr. Der leuchtend rote Bart wie auch das nicht weniger auffallend rote Haar besaßen im Schein der unruhigen Fackel an der Wand eine ebenso große Wirkung wie im Tageslicht. Vielleicht lag es auch an der Nähe zum schwarzbehaarten Gerichtsvogt, dem er an Körperlänge und Fülle kaum nachstand. Sie äugte zu Tönnies, der angesichts des zweiten Besuchers noch blasser geworden war.
»Wie ich Euch seit Tagen klarzumachen versuche, lieber Wierzynek«, wandte sich Baranami sichtlich belustigt an den Gerichtsvogt, dessen Namen Dora damit zum ersten Mal
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