Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
sowie zwei Schmieden nennt der Herzog derzeit sein Eigen.«
Stolz wies Polyphemus auf ein weit ausladendes, im Vergleich zu den bisherigen Bürgerhäusern allerdings beschämend schlicht anmutendes Gebäude. Das Tor stand weit offen und erlaubte einen Blick in den Innenhof. Pferde und Wagen standen dort, Feuer brannten, Schmiede schlugen ihre Eisen. Gret missfiel der strenge Geruch, der aus den Stallungen herüberwehte. Rasch wandte sie sich ab. Dem Marstall schräg gegenüber erstreckte sich bereits die Schlossbrücke über den Graben. Die aus Holz gezimmerte Brücke knarrte bedenklich unter der Last der sie befahrenden Fuhrwerke und Karren.
»Da wären wir also«, erklärte Polyphemus überflüssigerweise und verharrte auf dem weiten Platz vor der Brücke, in den rechter Hand auch der Mühlenberg einmündete. Die kurzen Arme hinter dem Rücken verschränkt, sah Polyphemus Gret erwartungsvoll an und kaute seine fleischigen Lippen. Seine hellen Augen funkelten wie kleine Sterne.
Keck reckte Gret das rundliche Kinn und überlegte angestrengt, wie viel sie ihm über sich und ihre Herkunft preisgeben sollte. Einerseits konnte er ihr wichtig sein, um bei Hofe die erforderlichen Erkundigungen einzuziehen, andererseits war er gefährlich, weil er sich mit den Nürnberger Verhältnissen sehr gut auskannte. Davon abgesehen erweckte er nicht gerade den Eindruck, ein Geheimnis für sich behalten zu können.
Ihr Blick schweifte ab, glitt über die Menge der auf der Brücke Wartenden. Jung und Alt, Arm und Reich, Frauen, Männer und Kinder drängten sich dort zwischen Karren und Fuhrwerken. Ein Esel blökte, ein Hund kläffte. Eine Handvoll Knaben machte sich einen Spaß daraus, die Tiere weiter aufzuhetzen.
»Lienhart!«, rief sie und stürzte los. Die Knaben erstarrten, stoben auseinander. Einer jedoch blieb wie angewurzelt stehen.
»Gret!«, antwortete seine krächzende Jungenstimme kummervoll. Die eingezogenen Schultern und der gesenkte Blick offenbarten sogleich sein schlechtes Gewissen.
»Was tust du hier?« Sie erreichte Jörgs zehnjährigen Bruder und riss ihn am Ohr. Zu ihrer Überraschung widersetzte er sich nicht. Ein Stück abseits der Menge blieb sie stehen, hob drohend die Hand, versetzte ihm jedoch keine Maulschelle. Durchdringend sah sie auf ihn hinunter. Das Barett auf seinem glatten braunen Haar war verrutscht. Sie rückte es gerade, fasste unter sein Kinn und hob es an. Das mit Sommersprossen übersäte Gesicht war kreidebleich, die grünbraunen Augen irrten in dem verzweifelten Versuch, nicht zu ihr aufschauen zu müssen, unruhig umher. »Solltest du nicht drüben in der Domschule sitzen und fleißig dein Latein lernen?«
»G-G-G-Gewiss«, stammelte der Junge. »M-M-M-Magister St-St-St-Stein hat m-m-m-mich g-g-g-geschickt, um ein B-B-B-Buch aus der Bibliothek abzuholen.«
»Du wolltest wohl sagen, dich und die vier, fünf anderen, die sich gerade schleunigst aus dem Staub gemacht haben.«
Unbemerkt war Polyphemus zu ihnen getreten und tätschelte Lienhart wohlwollend die Schulter. »Am besten begleitest du mich. Ich weiß zwar nicht, welches Buch der ehrwürdige Magister haben will, doch uns wird etwas einfallen, was ihn interessieren könnte.« Er wandte sich an Gret. »Das wäre doch eine schöne Gelegenheit für Euch, ebenfalls mit ins Schloss zu kommen. Dann könnt Ihr es von innen bewundern. Vielleicht trefft Ihr auch den ein oder anderen Bekannten aus Nürnberg. Ständig weilt Besuch von dort beim Herzog. Wie war noch einmal der Name Eurer Familie?«
Dieses Mal war sein Blick so eindringlich, dass sie sich ihm nicht entziehen konnte. Noch dazu machte Lienhart Anstalten, an ihrer statt zu antworten. »Meine Eltern sind leider beide früh verstorben. So bin ich im Haus meines Oheims Wolf Wurfbein aufgewachsen.«
»Wolf Wurfbein? So heißt doch der Wirt am Frauentor neben dem Kloster der Caritas Pirkheimer.«
»Caritas Pirkheimer ist schon viele Jahre tot.«
»Ich weiß. Ihren Tod habe ich seinerzeit noch miterlebt. Ich bin erst zwei Jahre später aus Nürnberg fort. Auch an Euren Oheim kann ich mich gut erinnern. Sein Gasthaus besitzt einen guten Ruf. Das Bier ist köstlich.« Die Erinnerung an vergangene Genüsse verklärten sein Antlitz. Auf einmal schien er gänzlich entrückt, gab sich jedoch rasch einen Ruck und schaute Gret prüfend ins Gesicht. »Dann müsst Ihr also das kleine Mädchen mit den blonden Zöpfen sein, das den Wirtsleuten Wurfbein so fleißig beim Ausschank zur Hand
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