Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
vor Erreichen des Nachbarhauses zügelte er den Rappen, auch sein Kumpan hieß den Braunen stehen bleiben. Die Männer wandten einander zu, wechselten leise Abschiedsworte, dann saß Urban von seinem Pferd ab. Flink griff er nach dem Gepäck. Es bestand aus einem Felleisen sowie einem Brotbeutel und einer gerollten Wolldecke, die vor dem Sattel auf dem Widerrist des Pferdes festgeschnallt gewesen war. Zum Abschied klopfte er dem Rappen auf die Flanke. Freudig prustete das Pferd durch die Nüstern. Sein Begleiter führte es mit sich fort, nickte Dora im Vorbeireiten kurz zu und verschwand am Ende des Mühlenbergs nach links hinüber Richtung Schlossbrücke.
»Dora, mein Augenstern!« Urban strahlte vor Freude, als er sie erblickte. Sie wagte kaum, sich zu bewegen. Je näher er kam, je deutlicher schob sich ihr das Antlitz von Veit Singeknecht vor Augen. Sie schloss die Lider, holte tief Luft, öffnete sie erneut. Dicht vor ihr blieb Urban stehen und erkundigte sich besorgt: »Ist Euch nicht wohl?«
»Nein, nein«, beeilte sie sich zu versichern, »alles bestens. Wie schön, Euch wohlbehalten zurückzuhaben.«
Er legte ihr den Arm um die Schultern, und so betraten sie das Haus. In der Diele eilte Elßlin herbei, um ihm das Felleisen, den Brotbeutel und die gerollte Decke abzunehmen. Lautlos huschte sie mit dem Gepäck die Treppe hinauf. Als sie außer Sicht war, umschlangen sie einander und küssten sich.
»Liebster, endlich!« Dora genoss die Wärme seines Körpers, seinen Herzschlag durch den dicken Stoff der wollenen Schaube zu spüren und den vertrauten Veilchenduft einzuatmen. Der Pelzkragen kitzelte ihr die Nasenspitze. Sanft strich Urban ihr über den Kopf, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und schob sie auf Armlänge von sich. Nachdenklich betrachtete er sie vom Scheitel bis zur Sohle.
Ihr Herz raste. Es gelang ihr kaum, ihm geradewegs in die Augen zu schauen. Die Strenge des herzoglichen Kammerrats war zu deutlich auf seinem Antlitz eingeschrieben. Zum hundertsten Mal bereute sie die unsägliche Schafgarbenprobe. Was war nur in sie gefahren, ihr Schicksal derart unnötig auf die Probe zu stellen? Vom ersten Tag ihrer Ehe an hatte Urban ihr den Himmel auf Erden bereitet, sie immer wieder seiner aufrichtigen Liebe versichert. Nun hielt der Traum sie fest in seinen Fängen. Nie mehr konnte sie Urban gegenübertreten, ohne zugleich an Veit zu denken. Was aber das Schlimmste war: Seit sie ihn leibhaftig vor sich gehabt hatte, wusste sie, wie wahr der Traum war – das war ihr Liebster! Sie senkte den Blick, fasste nach den Händen ihres Gemahls. Die fühlten sich seltsam feucht und kalt an.
»Ihr ahnt nicht, welch große Sorge mich überfiel, als der Bote am Sonnabend die Nachricht brachte, Ihr würdet noch zwei Tage länger in Labiau bleiben«, erklärte sie so unbefangen wie möglich. »Zum ersten Mal habt Ihr eine solche Reise verlängert. Zuerst befürchtete ich, es wäre Euch etwas zugestoßen, und man wollte mir die Wahrheit vorenthalten. Erst als ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, dass die Zeilen wirklich von Euch niedergeschrieben waren, war ich etwas beruhigter. Trotzdem habe ich in den letzten beiden Tagen jede Minute an Euch gedacht und zu Gott, dem Allmächtigen, für Eure gesunde Rückkehr gebetet.«
»Zu Gott beten ist immer gut«, erwiderte Urban. »Verzeiht, dass ich Euch Sorgen bereitet habe. Das lag nicht in meiner Absicht. Doch es gab leider Schwierigkeiten, die zuvor nicht absehbar waren.« Eine Weile blickte er zu Boden, rieb sich das Kinn und verharrte in der leicht nach vorn geneigten Haltung. Dann aber richtete er sich mit einem Ruck wieder auf und zwinkerte ihr zu. »Vergessen wir das. Das Einzige, was zählt, ist: Wir beide haben uns gesund wieder. Übrigens bin ich sehr hungrig. Täusche ich mich, oder duftet es nach Wildbret? Lasst uns nach oben gehen. Wenn mein knurrender Magen wieder besänftigt ist, müsst Ihr mir ausführlich berichten, was sich in den letzten Tagen hier zugetragen hat. Besonders freue ich mich, später die Fortschritte an Eurem Entwurf für unser neues Heim bewundern zu dürfen. Ich hoffe, Ihr habt die Zeit gut genutzt, um weiterzukommen. So, wie es aussieht, gewährt der Herzog mir das Grundstück in der Junkergasse tatsächlich in den nächsten Wochen.«
Behutsam schob er sie zur Treppe und folgte ihr nach oben. Die Tafel in der Wohnstube hatte Elßlin festlich mit einem weißen Tuch und dem blankpolierten Zinngeschirr gedeckt. Sogar
Weitere Kostenlose Bücher