Die Liebe des Kartographen: Roman
den Blaubeurener Stadtarzt an den Pranger zu bringen?«, wagte sie zu fragen.
Adalbert schaute sie lange an. Nachdenklich, zärtlich. »Du streichst nicht um den heiÃen Brei herum, das muss man dir lassen«, sagte er dann anerkennend. »Es ist mir in der Tat nicht leicht gefallen, diesen Hundesohn so ungeschoren davonkommen zu lassen.«
Xelia zuckte zusammen. Sie hatte sich immer noch nicht an Adalberts derbe Redeweisen gewöhnt, die so ganz im Kontrast zu seinem freundlichen Wesen standen.
»Aber es ist meine Entscheidung, und ich habe sie überlegt getroffen«, fuhr er fort. »Nun bin ich schon über fünfzig Jahre alt und noch immer fällt es mir schwer einzusehen, dass ich nicht überall für Gerechtigkeit sorgen kann. Es gibt gar keine allumfassende Gerechtigkeit, wie oft hat mir das Schicksal das bewiesen! Und ganz langsam, miteinem kleinen Teil meines Verstandes, bin ich dabei, diese Wahrheit anzunehmen.«
»Das glaube ich nicht!«, platzte Xelia lauter heraus, als sie wollte. Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund, doch weder Philip noch Jaques drehte sich zu ihnen um. Jaques lachte gerade über irgendetwas, das Philip gesagt hatte. Sie musste aufpassen!
Adalbert verzog sein Gesicht zu einem kläglichen Grinsen. »Ganz glaubâ ichâs selbst noch nicht, aber ich rede es mir zumindest ein.« Seine Stimme war nachdenklich. »Es mag keine Gerechtigkeit geben, aber irgendwie gibt es doch in jedem Leben eine Waage mit zwei Schalen, in denen Gut und Böse liegen.« Er suchte ihren Blick, um herauszufinden, ob sie ihm folgen konnte.
Sie nickte nur. Das Bild mit der Waagschale gefiel ihr.
»Wenn auf meiner Waage die Schale mit dem Bösen tiefer nach unten hängt als die andere, dann muss ich dagegen etwas unternehmen, bis wieder ein Gleichgewicht da ist. Dann bin ich mit mir im Reinen und kann akzeptieren, dass nicht alles, was ich tue, aus Heldentaten besteht.«
Xelia verzog den Mund. Was Adalbert sagte, klang sehr einleuchtend, aber sie konnte dennoch nichts Richtiges mit seinen Worten anfangen. Wie kam er überhaupt auf den Gedanken, alles vollendet machen zu müssen? Kein Mensch war unfehlbar, das wusste er doch, oder? Andererseits: Konnte man eine böse Tat einfach mit einer guten auslöschen? Sie sagte etwas Ãhnliches zu ihm.
»Findest du, ich mache es mir zu leicht?«, fragte er zurück, ohne eine Spur verärgert zu sein. Den Blick in den erwachenden Morgen gerichtet, sagte er: »Vielleicht hast du damit recht. Nur weià ich für mich keinen anderen Weg, um mit meinen Sünden zu leben.« Xelia reagierte betroffen. »Dass ich die Aussätzigen im Stich lasse â und eine andere Betrachtungsweise gelingt mir in dem Fall einfach nicht â, lädt mir eine schwere Schuld auf, und ich kannnur hoffen, dass mein Leben mir die Gelegenheit gibt, sie wieder gutzumachen.«
»Aber warum gehst du dann überhaupt weg, wenn du dich dabei so schuldig fühlst?«, fragte Xelia verzweifelt nach.
»Was tuschelt ihr da hinten?«, warf Jaques plötzlich über seine Schulter. Und zu Philip gewandt, sagte er: »Ist es bei euch Gelehrten üblich, dass man seine Diener unterhält?«
Als Antwort lachte Adalbert laut heraus. »Ich sagte gerade, dass mir der Sinn nach einem roten Wein stünde, auf dem Ofen warm gemacht und mit Kräutern gewürzt. Der würde uns die Glieder durchwärmen.«
»Wein!«, gab Jaques heftig zurück. »Wein ist Teufelszeug!« Er spuckte angeekelt aus.
Xelia und Adalbert schauten sich an. Was war denn jetzt wieder los?
»Na, den Teufel stellâ ich mir aber anders vor«, entgegnete Philip, der Jaquesâ Stimmungswechsel nicht mitbekommen hatte und dessen Worte für einen etwas seltsamen Scherz hielt.
Jaquesâ Kopf fuhr herum, wie von einem Bienenschwarm verfolgt. Er riss den Mund auf, als wolle er Philip aus voller Kehle anschreien, doch er sagte nur leise: »Du solltest meinen Vater kennenlernen. Dann wüsstest du, wovon ich rede.«
Xelia, die nur zu gut in Erinnerung hatte, wie unleidig der Gerber nach einem Krug Wein zu viel immer geworden war, wusste, wovon Jaques sprach. Wahrscheinlich war der alte Mewrzig ein ebenso übler Saufkumpan wie der Herzog. Vielleicht war das auch einer der Gründe dafür, dass Jaques die Reise unbedingt erfolgreich abschlieÃen wollte? Als Ehrenrettung seiner
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