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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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vor Gram gebückte Gestalt, ihre nie ausgesprochene, aber für die Kinder spürbare Angst vor dem Ehemann. Dass sie in einem früheren Leben von einem so wundervollen Menschen wie Adalbert Lali genannt worden war, erfüllte Xelia im Nachhinein mit einem tiefen Glück, aber auch mit tausend Fragen. »Und was ist aus ihr geworden?« War das ihre Stimme, dieses blecherne Scheppern?
    Auch Adalbert hing seinen Gedanken nach, jetzt jedoch hellwach und weit davon entfernt, wieder in den schlafartigen Zustand zurückzufallen. Er antwortete mit unendlich trauriger Stimme: »Ich habe sie aus den Augen verloren. Es … ist schon lange her, aber das Elend, das ich damals fühlte, überfällt mich seitdem immer wieder.«
    Â»Wie lange ist es her? Und was ist geschehen?«, hakte Xelia ungeduldig nach. Sie wollte die Gewissheit, die sie längst in sich spürte, aus seinem Mund hören.
    Die Ungeduld in ihrer Stimme ließ ihn aufschauen. Und da sah er die Wahrheit in Xelias Augen. »Du meinst … Das ist doch … unmöglich. Nein – das ist es nicht!« Die Kälte und Anstrengung der letzten Stunden ließen alle Gedanken in seinem Kopf verschwimmen, untergehen. Doch einer tauchte hartnäckig immer wieder an der Oberfläche auf. »Du meinst …«, wiederholte er und brach nochmals ab. Die Zeit schien in der eisigen Luft still zu stehen. Tränen schossen ihm in die Augen, die er hastig trocken wischte.
    Â»Du bist Lalis Tochter! Verdammt noch mal, du bist Lalis Tochter!«

~ 54 ~
    X elia erwachte vom Geruch der Luft, die durch das undichte Fenster und die Ritzen der Tür in ihre Kammer wehte. Es roch nicht nach einer Sommerwiese, einem blühenden Rosenbusch oder einem Räucherofen, in dem gerade Fleisch seine würzige Haltbarkeit bekommt. Es waren ganz alltägliche Gerüche, die ihr in die Nase stiegen, das unverwechselbare Bukett eines Hauses und seiner Menschen: nach Gemüsesuppe, die zu lange auf dem Feuer stand und leicht angebrannt war, nach dem Holzboden, dessen Dielen von unzähligen Besuchern glatt gelaufen waren, nach den zurückgebliebenen Ausdünstungen der Menschen, die vor Philip und ihr hier geschlafen hatten. Die Decke auf ihrem Lager – kein Leinen, sondern aus einem Garn, das sie nicht kannte – roch nach Sonne und Wärme.
    Dass es überhaupt nach etwas roch, war das Besondere! Es bedeutete Leben . Der Schnee, die Berge, ihr weißwandiger eisiger Unterschlupf, in dem sie auf Philip gewartet hatten – alles war eine einzige geruchlose Erstarrung gewesen.
    Sie blinzelte. Draußen war es hell. Die Sonne schien. Neben ihr drehte sich Philip auf die linke Seite und nahm den Großteil der Decke mit.
    Philip. Nach seinem Marsch durch den Sturm musste er todmüde sein. Sie strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    Es hatte einen Augenblick gegeben, da hatte sie nicht mehr daran geglaubt, dass er es schaffen würde. Als der Schneesturm so dicht geworden war, dass die Wände ihres Unterschlupfes sich nicht mehr von der Außenwelt abhoben. Da hatte sie sich zwar noch nicht mit demTod abgefunden, aber sie war nahe daran gewesen. Und dann – just in dem Moment, als Adalbert und sie sich in den Armen lagen, überwältigt von den Gefühlen, dass er ihre Mutter gekannt hatte – war aus der Ferne ein silbernes Klingeln zu hören gewesen. Philip! Und er hatte Hilfe mitgebracht. Gemeinsam mit dem Besitzer des Passgasthofes hatte er Adalbert auf einen schmalen Pferdeschlitten gehoben. Heulend hatte Xelia ebenfalls Platz genommen, den halberfrorenen Hund auf ihrem Schoß. Sie waren gerettet, doch es hatte eine Weile gedauert, bis sie es wirklich glauben konnte.
    Philip stöhnte leise im Schlaf, doch seine Gesichtszüge waren entspannt. Vorsichtig legte Xelia auch noch den Rest der Decke über ihn und stieg aus dem Bett. Sie schaute aus dem Fenster. Meran! Wie gut, dass der Schlittenbesitzer sich bereiterklärt hatte, in einem Zug hierherzufahren. Sonst hätten sie in seinem Gasthof oder in Sankt Leonard übernachten müssen. Doch Philips Argument, Adalbert brauche dringend ärztliche Hilfe, und zwar die seines Bruders Michael, und ein tiefer Griff in den Geldbeutel hatten den Mann überzeugt, die lange Fahrt in einem Stück zu machen. Xelia war das nur recht gewesen, sie wollte nicht mehr unterwegs sein, sie wollte endlich irgendwo ankommen.

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