Die Liebe des Kartographen: Roman
einfielen, während ein kalter Hauch von Panik sich wie eisiger Raureif um ihr Herz legte. Zurück ins Dorf gehen und versuchen, ihre Unschuld zu beweisen â das war zwecklos. Nie und nimmer würde ihr das gelingen, das wusste sie. Sie war ein Weib, und Heilerin war sie auch. In den Augen vieler war sie dadurch schon eine halbe Hexe. Und was mit so einer geschehen konnte â darüber wurden immer wieder Schauermärchen erzählt. Dass sie, die arme Tochter eines Gerbers, es gewagt hatte, sich an den reichen Sohn des Tuchhändlers heranzumachen, würde ihr im Dorf auch kaum einer verzeihen, von Blaustein selbst einmal ganz abgesehen! So etwas tat man einfach nicht. Man blieb unter seinesgleichen. Dass sie es gewagt hatte,an ihrer Stellung im Leben etwas verändern zu wollen, durfte ebenfalls nicht sein.
Xelia schüttelte den Kopf. Wie blauäugig sie gewesen war! Wieder einmal spürte sie eine ungezügelte Wut in sich hochsteigen, die sie jedoch im letzten Augenblick unterdrücken konnte. Sie musste Pläne machen, und dazu benötigte sie einen klaren Kopf?
Sollte sie versuchen, die Wegelagerer zu finden, die angeblich im entfernteren Teil des Waldes lebten? Die scheuten wie sie das Tageslicht, denen konnte sie sich getrost anschlieÃen. Aber was hätte sie damit gewonnen? Sie würde sich weiterhin verstecken müssen, immer mit der Angst im Nacken, entdeckt zu werden.
Nein, sie musste den Wald verlassen, und zwar so bald wie möglich. Sie schalt sich dafür, nicht schon längst weg zu sein. Sie musste irgendwohin, wo sie keiner kannte. Eine gröÃere Stadt, so wie Ulm, sollte es sein. Kaum hatte sie diesen Entschluss gefasst, warf ein Gewirr aus Fragen und Ãngsten ihn wieder über den Haufen.
Wie sollte sie den Weg dorthin finden? Würde sie nicht schon in den ersten Tagen bösen Strolchen zum Opfer fallen, die dann wer weià was mit ihr trieben? Was wäre, wenn sie jemandem über den Weg liefe, der sie kannte? Und schlieÃlich: Was sollte sie in der Stadt machen? Sich in einer Stadt zu verstecken war sicher schwieriger als hier im Wald. Und wovon sollte sie leben?
Das Donnergrollen des näher kommenden Gewitters war nur leise zu hören, wie das Knurren eines Hundes. Xelia blickte sich in ihrem Versteck um. Die niedrigen Wände kamen ihr vor wie eine Hand, die jemand beschützend über sie hielt. Hier fühlte sie sich sicher. Sie seufzte. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit, und sie spürte, wie Schläfrigkeit ihren Verstand verlangsamte, ihre Sorgen kleiner machte und ihre Ãngste wegwischte.
Doch plötzlich setzte sie sich ruckartig auf. »Willst du dir schon wieder etwas vormachen?«, hörte sie sich vorwurfsvoll fragen. »Hier bist du nicht sicher, hier bist du lebendig begraben!« Sie erschrak über den Klang ihrer Stimme, so fremd kam sie ihr vor.
Und als sie die Augen schloss, wusste sie, dass sie am nächsten Morgen losgehen würde. Da mochte kommen, was wollte.
~ 15 ~
E s war früher Abend, als Leinstetten in Sichtweite kam. Der Schankmeister des Benediktinerklosters in Blaubeuren hatte Philip erzählt, dass er sicherlich beim dortigen Markgrafen oder bei einem reichen Tuchhändler eine Ãbernachtungsmöglichkeit finden würde. Philip war es gleich, wo er die Nacht verbrachte, er sehnte sich nach einem kühlen Raum und einem Krug Bier. Obwohl er tagelang unterwegs gewesen war, ohne auf eine Menschenseele zu treffen, stand ihm der Sinn nicht gerade nach langen weinseligen Gesprächen. Morgen vielleicht. Heute Abend wollte er nur ruhen.
Wie ein dunkelgelber Ball stand die Sonne über der weiten Albhochfläche und überzog die Landschaft mit einem goldenen Glanz. Kein kühlender Lufthauch erfrischte Mensch oder Tier, es war noch genauso heià wie in der Mittagsglut. Weiter südlich türmten sich die ersten dunklen Wolken auf, und Philip hoffte, noch vor dem Gewitter eine Unterkunft gefunden zu haben. Er beschleunigte seinen Schritt.
Den ganzen Tag war er ohne Rast mit seinen Vermessungen und Berechnungen beschäftigt gewesen. Stück für Stück hatte er sich wie eine Bergziege die Alb hinaufgehangelt. Nun war er müde. Seine Beine schmerzten, seine FüÃe waren geschwollen, ihre Haut rieb sich in seinen ledernen Stiefeln wund. Auch Alois schien erschöpft zu sein. Unter seinem Sattel lugten dunkle SchweiÃflecken hervor, und er lieà seinen
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