Die Liebe ist ein Daemon
merke, oder besser gesagt, ich merke es, aber nicht ganz und dann spreche ich weiter, während ein Teil von mir zu fluchen anfängt und mir befiehlt, damit aufzuhören und …«
Nicht schon wieder, ich bin so was von lächerlich. Er legt mir einen Finger auf die Lippen.
Sein Finger auf meinen Lippen. Ich spüre meine Beine nicht mehr.
»Hol mal Luft«, sagt er leise. »Es reicht ein einfaches Entschuldigung.«
Seine Stimme hat etwas Weiches, Zärtliches oder bilde ich mir das nur ein?
Er nimmt den Finger von meinem Mund.
Meine Lippen protestieren.
Ich strenge mich an, meine Gedanken neu zu ordnen.
»Also, Entschuldigung«, sage ich schließlich.
Eine leichte Brise weht durch die Bäume und Rosenzweige und zerzaust seine Haare. Er streicht sich schnell eine Strähne aus dem Gesicht.
|68| Ich beobachte seine Hände. Sie sind langgliedrig und schmal, die Nägel sind gepflegt und schwarz lackiert. Noch ein Windstoß, diesmal ein bisschen stärker. Dem Wind macht es wohl Spaß, uns zu ärgern, mich zu ärgern, denn ihm scheint das alles nichts auszumachen.
»Dann bist du Federico.«
Es ist mehr eine Bemerkung als eine Frage. Wer sollte er denn sonst sein?
Er nickt fast unmerklich und blickt mich weiterhin starr an.
»Und du bist …«
»Vicky … Vittoria.«
Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich will aber auch nicht schweigen, also füge ich hinzu: »Diese Rosen, die um die Statue gewachsen sind, sind wirklich wunderschön.«
Er geht einen Schritt auf die Skulptur zu und stellt sich neben sie. Endlich wendet er seine Augen von mir ab.
Er streichelt das marmorne Gesicht des Engels. Ich muss ein wenig schmunzeln, weil sein Gesicht so viel faszinierender und ausdrucksvoller als das der Statue ist. Bei allem, was er macht, auch in seinen kleinsten Gesten, wirkt er so unheimlich cool – und gleichzeitig total sensibel.
»Und nun, Vicky … Vittoria«, sagt er mit einem selbstsicheren Lächeln.
Während er meinen Namen sagt, läuft mir ein Schauer über den Rücken … wahrscheinlich wegen dem kalten Wind. Ich stecke instinktiv die Hände in meine Taschen.
»Wem oder was verdank ich denn die Ehre, dass du in meinen Garten eingedrungen bist?«
|69| »Ich habe meine Mutter begleitet, um deiner Tante die Besitzurkunde dieses Hauses vorbeizubringen.«
Er fährt sanft mit seinem Finger über das marmorne Gesicht der Statue, immer hin und her, mit einer langsamen hypnotisierenden Bewegung.
»Und du hattest nichts Besseres zu tun?«
Mir verschlägt es eine Sekunde lang die Sprache.
»Ich wollte nicht unhöflich sein«, berichtigt er sich sofort und sieht mich dabei intensiv an, vielleicht damit ich ihm vergebe. »Warst du gerade beim Lernen?«, fragt er mich und streicht weiterhin mit seinen langgliedrigen Fingern über die Statue.
Ich nicke. Die hypnotisierende Bewegung seiner Hände macht mich ganz benommen.
Ich merke, wie spät es bereits ist. Der Himmel ist fast dunkelblau, das Licht ist schon seit einiger Zeit verschwunden und die Luft ist merklich kühler geworden. Komisch, meine Mutter hat mir doch versichert, dass wir nicht lange brauchen würden.
»Ich … ich muss jetzt wirklich gehen.«
Ich beginne, ein paar Schritte in eine Richtung zu laufen, und hoffe dabei, denselben Weg eingeschlagen zu haben, von dem ich gekommen bin.
»Vicky.«
Ich bleibe stehen. Ich drehe mich um.
»Lies das, das ist besser als jedes Schulbuch.«
Er nimmt etwas aus seiner Jackentasche und wirft es mir zu: Es ist ein Buch. Trotz der Dunkelheit gelingt es mir, es |70| aufzufangen, ohne es fallen zu lassen … ein wahrer Beweis meiner Geschicklichkeit! Ich drehe es in den Händen, der Einband ist weich und ein wenig verschlissen, ganz so als ob man es immer wieder gelesen hätte; die Seiten sind, wie bei alten Büchern üblich, aus dickem seidigen Papier.
»Vorsicht, Dornen«, fügt er hinzu. Er wird jetzt vollkommen von der Dunkelheit umfangen und ist nicht mehr als eine ferne Stimme.
»Dornen? Welche Dornen?«, frage ich. Aber er, Federico, ist wie immer, bereits verschwunden. Ich bleibe alleine mit dem Buch in der Hand stehen.
Ich lese den Titel. Es ist
Das Gastmahl
von Platon.
|71| VORSICHT, DORNEN
»Warum hat es nur so lange gedauert?«, frage ich meine Mutter, als wir im Auto sitzen.
»Ich habe gar nicht gemerkt, dass es so spät geworden ist, Schätzchen, es tut mir leid.«
»Dann ist Nora also ganz nett, wenn die Zeit mit ihr so schnell vergangen ist?«
»Ich weiß nicht,
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