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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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de l’Horloge, zwischen den Tischen, den Touristen auf der Terrasse, unter den großen Sonnenschirmen.
    Marie geht zu ihnen.
    Sie sagt, dass sie Odon suche.
    Julie zuckt die Achseln.
    Greg erwidert, um diese Zeit spiele er vielleicht Poker in der Sakristei.
    Sie sitzen zu viert um den Tisch, als Marie eintritt. Odon, der Pfarrer und zwei andere.
    Sie legt Anamorphose zwischen die Karten.
    Odon blickt auf die Seiten.
    »Das ist jetzt nicht der richtige Augenblick, Marie …«
    Der Pfarrer rührt sich nicht vom Tisch.
    Die anderen warten.
    »Ich will einfach nur verstehen.«
    Odon legt die Karten hin. Er entschuldigt sich.
    »Spielt ohne mich zu Ende …«
    Er verlässt die Sakristei, Marie folgt ihm. In der Kirche ist niemand. Um neunzehn Uhr schließt der Pfarrer die Türen. Odon durchquert das Kirchenschiff.
    »Wir gehen dort hinaus«, sagt er.
    Marie bleibt stehen.
    Unter dem Gewölbe ist es dunkel. Odon blickt in die Dunkelheit. Er hat immer gewusst, dass dieser Augenblick kommen, dass der Fehler seine Wiedergutmachung verlangen würde. Es wäre ihm nur lieber gewesen, wenn es nicht auf diese Weise passiert wäre.
    Und nicht mit Marie.
    Sie drückt das Manuskript fest an ihren Bauch, als wollte sie eins werden mit ihm.
    » Anamorphose , … Ich konnte mir das Wort einfach nicht merken. Beim Tippen hab ich es immer falsch geschrieben.«
    Er geht zu ihr zurück. Die Bodenplatten der Kirche sind dick und glatt, sie spiegeln ihre reglosen Schatten.
    »Sie müssen es mir erklären«, sagt sie.
    Erstickte Worte.
    Odon deutet auf den Ausgang.
    »Wir wollen das doch nicht in einer Kirche besprechen …«
    Er entfernt sich, kommt zurück.
    Sie rührt sich nicht.
    »Wo hast du das gefunden?«, fragt er.
    »Bei Isabelle.«
    »Hast du danach gesucht?«
    »Nein.«
    Er wendet sich ab. Draußen hört er Lachen, Musik.
    Marie starrt ihn ohne Wut an.
    »Sie haben ihr seinen Text gegeben …«
    Sie hat nicht laut gesprochen, und doch hallt ihre Stimme zwischen den Mauern wider.
    Er geht ein paar Schritte an den Bänken entlang. Das Licht zeichnet abstrakte Linien.
    »Dein Bruder war tot. Was sollte ich tun? Sollte ich verbrennen, was er geschrieben hatte? Sollte ich es verschwinden lassen? Hättest du das gewollt?«
    Sie schüttelt den Kopf, mehrmals, langsam.
    »Wäre es dir lieber gewesen, dass er auf dem Grund eines Kartons verschwindet?«
    »Nein …«
    »Ich habe daran gedacht, stell dir vor … Ich hätte es fast getan. Staub und Vergessen, das ist das Schicksal der Menschen, nicht der Texte.«
    Marie verzieht das Gesicht. Ein brennender Brechreiz steigt ihr in den Hals.
    »Warum hat sie es korrigiert? War es nicht gut?«
    »Doch, es war gut.«
    »Warum also?«
    Der Brechreiz schlägt gegen ihre Zähne. Sie fährt sich mit der Zunge über die Lippen, leckt den Ring.
    »Ihr Schweigen … Sie haben ja keine Ahnung … Er hat geglaubt, es sei schlecht und deswegen würden Sie ihn nicht anrufen.«
    Odon seufzt.
    »Gehen wir hinaus«, sagt er und macht erneut ein paar Schritte in Richtung Tür.
    »Mathilde, war sie Ihre große Liebe? Haben Sie ihr deswegen den Text meines Bruders gegeben, weil Sie sie so sehr geliebt haben?«
    Es ist ein merkwürdiges Gefühl, Mathildes Namen so durch das Kirchenschiff hallen zu hören. Er steckt die Hände in die Taschen.
    »Ich habe ihr den Text deines Bruders gegeben, weil sie ihn mochte. Sie wollte ihn retten.«
    Marie fährt sich mit der Hand durchs Haar, verwirrt es.
    »Paul hat Ihnen Nuit rouge geschickt, und auch Anamorphose …«
    Das ist keine Frage.
    Odon wartet.
    Sie sagt nichts mehr.
    Sie gehen gemeinsam zu der kleinen Tür, die auf die Straße führt. Der Ärmel ihres Hemdes ist hochgerollt, er sieht ihren zerkratzten Arm.
    »Was hast du da gemacht?«
    Rasch zieht sie den Stoff über ihren Arm. Lässt die Hand dort liegen.
    »Dornenzweige … Diese verdammten Dornen.«
    Sie schüttelt den Kopf.
    Sie hat einen unangenehmen Geschmack im Mund.
    Als ihr Bruder ihr den Text zeigte, sagte er, wir werden ihn Anamorphose nennen. Das war ein schöner Titel, sie wiederholte ihn mehrmals, ohne zu verstehen, was er bedeutet. Sie suchte im Wörterbuch, Anamorphose . Sie schrieb es immer mit f , ihr Bruder schimpfte ständig.
    Der Text war lang, er kostete sie viel Zeit. Eines Tages überhitzte sich der Computer und verbrannte Maries Schenkel. Sie gingen ins Bistro zu Tony. Die Mädchen kamen dorthin, um Kaffee zu trinken oder eine Schale heißer Suppe mit weichgekochten Eiern zu essen, sie

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