Die Liebe verzeiht alles
Kontakte zu knüpfen. Er wollte der Erste aus seiner Familie sein, der einen Highschool-Abschluss erlangte und kein Totalversager war.
Neben seinen Noten interessierte ihn nur noch eines, oder besser eine: Lilah. Und während er jetzt auf sein Schließfach zu schlenderte, blickte er sich verstohlen nach ihr um. Sie stand vor ihrem Fach und war wie üblich von diversen Freundinnen umringt.
Gus schob den Schlüssel ins Schloss, behielt Lilah jedoch weiter im Auge. Endlich geschah das, worauf er gewartet hatte. Sie legte eine Hand auf den Rücken und ballte sie dreimal zur Faust, was so viel hieß wie: Ich sehe dich. Ich vermisse dich. Ich liebe dich.
Diese Geheimsprache hatten sie vor fast zwei Jahren entwickelt, als sie ein Paar geworden waren. Gus rieb sich dreimal die Schläfe. Ich vermisse dich. Ich will dich – jetzt. Ich liebe dich auch . Im nächsten Moment beobachtete er, wie sie lächelte und kaum merklich nickte.
Gut anderthalb Jahre hatten sie sich nur geküsst und immer leidenschaftlicher gestreichelt, denn er war darum bemüht gewesen, das Richtige zu machen. Er selbst hatte als Vierzehnjähriger seine ersten Erfahrungen mit einer Siebzehnjährigen gesammelt und gewusst, was er mit – und für – Lilah tun konnte. Aber aus Respekt vor Harm und ihr hatte er sich zurückgehalten.
Gus öffnete sein Fach und entdeckte sofort Lilahs Geschenk, eine weiße Gardenie. Wie gern hätte er seinem Mädchen jetzt offen zugelächelt. Seit jener Begegnung im Abstellraum hatte sie ihm täglich etwas zukommen lassen. Zunächst war es immer eine braune Tüte mit einem Sandwich, einem Donut oder einem Stück Obst gewesen. Außen hatte sein Name gestanden – sowie die Aufforderung: Iss es einfach. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er nicht das Gefühl gehabt, ein Almosen zu empfangen.
Gus nickte Lilah kaum merklich zu, als Cathie sie am Arm fasste. „Los, lass uns schnell essen. Ich möchte nachher ein paar neue Frisuren für den Schulball ausprobieren.“
„Das können wir auch nach der Schule machen.“
„Sicher, aber bis dahin will ich nicht warten.“ Cathie zog sie mit sich den Gang entlang in Richtung des Essbereichs.
Verstohlen blickte Gus ihnen hinterher und beobachtete, wie Lilah eines der Magazine fallen ließ, die sie bei sich hatte. Sie drehte sich um und hob es auf, wobei sie ihm kurz zuzwinkerte.
Ja, es gab Zeiten, in denen die Geheimhaltung ihrer Beziehung ihre Gefühle verstärkte. Allerdings gab es auch Zeiten, in denen er sich wie jetzt gerade wünschte, er könnte ihre Hand nehmen und allseits verkünden, dass sie mit ihm essen würde. Nur zu gern wäre er jetzt an einem stillen Ort allein mit ihr, um die noch verbleibende gemeinsame Zeit bis zu ihrem Highschool-Abschluss zu genießen.
Er konnte es kaum erwarten, Kalamoose den Rücken zu kehren. Aber das mussten Lilah und er genau planen. Er wollte, dass sie irgendwo neu anfingen, wo seine Vergangenheit keine Rolle spielte und die Straftaten seiner Angehörigen ihn nicht verfolgten. Und er wollte in der Öffentlichkeit den Arm um sie legen können, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass jemand schlecht über Lilah dachte, weil sie mit ihm zusammen war.
Behutsam strich er über die weißen Blütenblätter der Gardenie, die ihn an etwas erinnerte, was weder Cathie noch sonst jemand wusste. Lilah würde den Schulball nicht besuchen, sondern den Abend mit Gus verbringen.
Sie hatten verabredet, dass sie in ihrem Kleid das Haus verließ und erzählte, ihr Tanzpartner würde sie bei einer Freundin abholen. In Wahrheit würde sie jedoch ihn beim Friedhof an der Elk Street treffen. Dort wollte er mit dem Wagen eines Kumpels auf sie warten, um dann mit ihr nach Minot zu fahren. Er beabsichtigte, sie in ein Restaurant zu führen und später in einen Nachtklub zum Tanzen. Das Geld für die Einladung hatte er sich in den letzten Monaten vom Mund abgespart. Er hatte sehnsüchtig gehofft, dass Lilah auf den Ball verzichten und stattdessen mit ihm ausgehen würde.
Eines ahnte Lilah aber nicht: Gus hatte vor, ihr am Ende des Abends einen Heiratsantrag zu machen. Nicht, dass er ihre baldige Hochzeit plante. Er wollte sie erst heiraten, wenn er ihr etwas bieten konnte. Nur sollte sie wissen, dass er es ernst meinte. Sie gehörten einfach zusammen. Für immer und ewig.
Nach einem letzten Blick auf die Gardenie schloss Gus sein Fach und schlenderte den Gang entlang nach draußen. Er aß fast nie in der Cafeteria oder im Essbereich der
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