Die Liebe verzeiht alles
vorgeschlagen, dass wir auf Distanz gehen sollten?“
„Das ist nach wie vor die beste Lösung. Doch erfordern die Umstände ein Umdenken, und ich habe gelernt, mir mein Handeln nicht von persönlichen Stimmungen diktieren zu lassen. Hochmut kommt vor dem Fall, wie du sicher schon gehört hast, oder?“
„Ja, habe ich. Aber wenn man so tief gefallen ist wie ich, spielt der eine oder andere Meter keine wirkliche Rolle mehr. Trotzdem bin ich neugierig. Weshalb wendest du dich ausgerechnet an mich? Es dürfte andere Menschen geben, die den Job haben wollen.“
„Davon bin ich überzeugt, und ich habe auch vor, jemanden von denen einzustellen.“ Er probierte ein Stück von dem Zimthörnchen und schob stirnrunzelnd den Teller weg. „Nein, es ist das Risiko nicht wert.“
„Wenn du jemand anders anheuern willst, warum bist du dann hier? Und bitte fass dich kurz. Ich muss mich wieder an den Tischen blicken lassen, denn ich bin auf Trinkgelder angewiesen.“
„Bei deiner unvergleichlichen Freundlichkeit und Geschicklichkeit werden sie bestimmt reichlich fließen.“ Gus trank einen Schluck Kaffee und zuckte zusammen. Das ist reine Show, dachte Lilah, denn ihr Kaffee schmeckte nicht schlecht. „Ich bin nicht hier, um dir Glorias Job anzubieten. Bei mir draußen findet demnächst ein Ferienlager statt. Ich benötige jemanden, der die Theatergruppe leitet. Du scheinst weit und breit die Einzige zu sein, die für diese Aufgabe infrage kommt.“
Lilah brauchte erst einen Moment, um sich von ihrer Überraschung zu erholen. „Wow. Das ist … du meine Güte, ja … das ist das schmeichelhafteste Angebot, das ich seit einer Ewigkeit erhalten habe.“
„Tatsächlich?“
„ Nein ! Ich ‚scheine weit und breit die Einzige zu sein‘? Ist dir eigentlich klar, wie verzweifelt du dich anhörst?“
„Das bin ich auch. Clea Scolari, die neue Schauspiellehrerin an der Highschool, hatte den Job übernehmen wollen. Doch sie ist im vierten Monat schwanger und soll ab sofort liegen.“
„Was ist mit ihrem Vorgänger Mr. Fox?“
„Er genießt seinen Ruhestand in Florida.“
„Dann hol dir jemanden aus Minot.“
„Das habe ich schon versucht. Ich war sogar im Stadttheater und habe mir die Aufführung von Annie angeschaut. Anschließend habe ich mit dem Regisseur etwas getrunken. Er mag keine Kinder.“
Ein böser Verdacht stieg in Lilah auf. „Wann hast du denn dir die Vorstellung angesehen und dich mit dem Regisseur unterhalten?“
Gus gab vor, nachzudenken. „Vor ein paar Stunden.“
Am liebsten hätte sie ihm das Zimthörnchen ins Gesicht geworfen. „Also bist du nicht nach Minot gefahren, um mit mir zu sprechen. Du bist hier aufgekreuzt, nachdem du mit allen anderen geredet hast.“
„Warum regst du dich denn auf? Du willst den Job doch gar nicht.“
„Du hast dich nur an Leute gewandt, die North Dakota bestimmt nie verlassen haben. Ich bin eine Hollywood-Schauspielerin. Es wäre nur vernünftig gewesen, mich als Erste zu fragen.“
„Soll das heißen, du möchtest ihn doch?“
„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte sie wider besseres Wissen und runzelte die Stirn. „Was würde er denn bringen? Und kann Bree kostenlos am Ferienprogramm teilnehmen?“
Sie hatte keine Ahnung, ob Bree überhaupt interessiert war. Aber wenn sie zum Nulltarif bei den Aktivitäten mitmachen konnte, war es ganz sicher keine schlechte Idee, den Job zu akzeptieren.
„Hast du jemals Schauspielunterricht gegeben?“, erkundigte sich Gus, anstatt die Fragen zu beantworten.
Er wich ihr aus. Wollte er sie nun engagieren oder nicht? Lilah fühlte sich herausgefordert. „Womit, glaubst du, habe ich mir den Lebensunterhalt verdient, während ich meine Karriere vorangetrieben habe?“
„Mit Kellnern.“
„Und außerdem?“
Weder war da eine Karriere gewesen, die sie hätte vorantreiben können, noch hatte sie jemals Schauspielunterricht erteilt. Wütend verdrehte sie die Augen, und Gus, der sie einen Moment nachdenklich beobachtet hatte, nahm die Brieftasche aus seinem Jackett. Er legte eine Zwanzigdollarnote auf den Tisch sowie eine Visitenkarte.
„Darauf steht die Telefonnummer von meinem Büro zu Hause. Ruf mich in zwei Tagen an. Dann bin ich aus New York zurück, und wir können die Einzelheiten besprechen.“ Mit diesen Worten stand er auf.
„Warte, ich hole das Wechselgeld.“
„Behalte es.“ Er senkte die Stimme. „Ich schätze, du hast von den Truckern nichts mehr zu befürchten. Doch dein Boss hat dich
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