Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Setz Clemens J.
Vom Netzwerk:
gesagt.
    Stille. Die beiden Schwestern atmeten in den Hörer.
    – Sei mir nicht böse, okay?, sagte Monika schließlich. Erinnere dich an Gefallen Nummer zwei.
    – An was?
    – An Gefallen Nummer zwei, den du mir … ach, vergiss es.
    – Ich bin dir nicht böse, ich verstehe dich nur nicht. Die Jungs sprechen schon seit zwei Wochen von nichts anderem. Sie wollen einmal ganz im Kreis fahren. Und sie wollen sehen, wie es auf deinem Balkon ist, ob man den Fahrtwind spüren kann und so.
    – Nein, sagte Monika leise und ernst.
    – Was nein?
    – Nein, man spürt ihn nicht. Dafür bewegt sich das Rad viel zu langsam.
    – Moni, was ist eigentlich mit dir los? Warum rufst du mich so spät an und sagst mir, ich soll lieber nicht auf Besuch kommen? Ist irgendwas mit dir, brauchst du Hilfe?
    Monika dachte nach.
    – Wenn ich Hilfe bräuchte, würde ich dich ja wohl kommen lassen, oder?
    – Eben das bezweifle ich. Du verschweigst mir etwas. Bist du … bist du umgezogen?
    Monika musste lachen. Das hatte sie nicht erwartet.Aber es war eine so elegante, glasklare Lösung des Problems – zumindest aus der Sicht ihrer Schwester –, dass es sie fast fröhlich stimmte.
    – Nein, sagte sie lachend, nein, ich bin nicht umgezogen. Ich bin immer noch hier oben, das heißt, im Augenblick, glaube ich, bin ich ziemlich weit unten. Aber dann geht’s ja wieder rauf, den ganzen Tag, die ganze Nacht. Rauf und runter.
    – Rauf und runter, wiederholte ihre Schwester. Trotzdem, du verschweigst mir irgendetwas.
    – Tu ich nicht. Ich bin nur lange wach gelegen und habe nachgedacht. Das ist alles.
    – Hm. Die Jungs werden auf jeden Fall enttäuscht sein. Gut möglich, dass sie dich dann überhaupt nicht mehr besuchen wollen. Weil sie beleidigt sind. Du weißt, wie Kinder sein können.
    Monika spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten.
    – Bitte, Elke, tu das nicht.
    – Was?
    – Nicht die Psycho-Nummer. Ich bin doch gerade auf Entzug von Schuldgefühlen. Auf Cold Turkey sozusagen.
    Sie musste an einen gerupften Truthahn denken, der mit den fetten Schenkeln nach oben auf einem Silbertablett lag. Elke gähnte nahe am Hörer, dann sagte sie:
    – Aber es wäre gelogen, wenn ich dir sagte, dass die beiden nicht enttäuscht sein werden. Sie haben sich so darauf gefreut. Und ich, ehrlich gesagt, auch. Wie lange haben wir uns jetzt nicht mehr gesehen?
    Monika musste überlegen.
    – Siehst du?, sagte Elke, du musst überlegen. Drei. Essind drei Jahre. Letzte Woche irgendwann waren’s auf den Tag genau –
    – Drei Jahre, ergänzte Monika.
    – Also? Wo liegt das Problem? Drei Jahre, das ist doch eine lange Zeit. Und morgen könnten diese drei Jahre zu Ende gehen.
    Monika biss sich wieder auf die Lippe. Diesmal fiel es ihr nicht auf.
    – Aber darum geht es ja gar nicht. Es ist nicht so, dass ich mich nicht auf euch freuen würde. Du musst mir nicht vorrechnen, wie lange wir uns nicht mehr gesehen haben.
    – Doch, muss ich, weil du es nicht einmal mehr weißt.
    – Mein Gedächtnis war noch nie –, begann Monika.
    Aber dann sprach sie nicht weiter. Ein sehr, sehr sanfter Ruck ging durch ihre Wohnung. Jemand hatte den Halteknopf gedrückt, und das mitten in der Nacht.
    – Ich glaube, ich lege mich wieder hin, sagte sie. Entschuldige noch mal, dass ich dich geweckt habe. Ich habe irgendwie kein Zeitgefühl.
    – Warte, sagte Elke. Willst du wirklich nicht, dass wir morgen kommen? Ich meine, bist du dir sicher?
    Monika überlegte, was sie noch sagen konnte. Es schien so, als hätte sie alle zur Verfügung stehenden Sätze ausprobiert. Es war kein passender mehr da.
    – Nicht böse sein, sagte sie schließlich.
    Elke antwortete nicht. Dann räusperte sie sich und sagte:
    – Gut. Wenn du es so willst. Dann werde ich das so weitergeben. An die Jungs.
    – Okay.
    – Okay.
    – Gute Nacht, Elke. Ich hoffe, du kannst wieder einschlafen, nachdem ich dich –
    – Mach dir um mich keine Sorgen, sagte Elke und legte auf.
    Jetzt war Monika wieder allein. Sie streckte sich im Bett aus und hörte dem Wind zu, der draußen durch die Nacht fuhr. Wie ein betrunkener Mann auf der Flucht. Nein, das passte nicht. Im Grunde ließ sich der Wind mit nichts vergleichen. Erst recht nicht, wenn man ihm ausgeliefert war, in einem irgendwo zwischen Himmel und Erde leicht hin und her schaukelnden Waggon, der vier überteuerte Wohnungen enthielt. Und eine dieser Wohnungen enthielt sie, Monika. Sie lag im Bett, in einem stockdunklen Zimmer.
    Unten in der

Weitere Kostenlose Bücher