Die Liebesbloedigkeit
sie beide nicht da sind, kann ich Sandra und Judith in meiner Wohnung umhergehen sehen; dadurch weicht meine Angst zurück, ich könnte sie verlieren. Endlich, in der Stille meines Arbeitszimmers, erkenne ich die Macht meiner alten Sehnsucht, die nicht teilen will.
10
Trotz meiner anfänglichen Vernachlässigung haben sich Sandras Blumen in den letzten Tagen wieder gut erholt. Am Mittwoch und Donnerstag war ich sogar zweimal zum Blumengießen in Sandras Wohnung und habe damit ein weitgehendes Wiederaufblühen erreicht. Nur ein kleines rotes Blütenbüschel, dessen Name ich nicht kenne, ist krumm und hutzlig geblieben, ich werde es durch ein neues ersetzen müssen. Es ist ein ruhiger Samstagvormittag. Frauen gehen einkaufen, Rentner tragen leere Flaschen zum Container, Junggesellen bringen ihre schmutzige Wäsche in die Reinigung, eine Katze liegt auf einem Autodach und schläft. Ich verlasse die Wohnung und hole Judith vom Flughafen ab. Am Abend wird Morgenthalers Party stattfinden. Ich überlege, ob ich Judith mitnehmen soll, vermutlich wird sie keine Lust haben. Das Gewimmel in den Hallen des Flughafens erschreckt mich. Ich habe mir wieder einmal nicht klargemacht, daß es immer gleich Tausende sind, die gleichzeitig ankommen und gleichzeitig wegfliegen. Die Mallorca-Rückkehrer werden heute in Halle C, Schalter 11, 12 und 13, erwartet. Ein junger Angestellter geht umher und zieht sich Gummihandschuhe an, bevor er die Müllbehälter leert. Ich setze mich auf eine der auch hier neu aufgestellten Ekelstahlbänke und warte. Warum sind Lautsprecherdurchsagen in Flughäfen fast immer gut verständlich und in Bahnhöfen fast immer kaum verständlich? Eine heruntergekommene Asiatin, vermutlich eine Vietnamesin, irrt in der Halle umher. Sie hat eine viel zu schwere Kleidertasche und ein Kind bei sich. Das Kind entfernt sich immer wieder so weit von der Mutter, daß die Verbindung zu ihr abzureißen scheint. Trotz dieser Drohung dreht sich die Mutter nicht nach dem Kind um. Ich frage mich, wann dem Kind auffallen wird, daß die Mutter es verlieren möchte. Oder hat das Kind die Mutter schon durchahnt, und es probiert seinerseits, ob es auch ohne Mutter zurechtkommt? Da entdecke ich Judith inmitten eines großen Pulks von heimkehrenden Urlaubern. Sie ist braungebrannt, ihr Haar ist offen, sie sieht glänzend aus. Wenig später liegen wir uns in den Armen. Das Hotel war gut, das Essen und der Strand ebenfalls, sagt sie und lacht. Und die Leute? frage ich. Du weißt ja, sagt Judith, es laufen dort viele Frauen mit Schminkkoffern und Männer mit Halskettchen herum. Ich habe fast den ganzen Tag im Liegestuhl verbracht, im übrigen Bedienung von morgens bis abends.
In der S-Bahn erzählt sie mir eine Geschichte, die sie nicht losgelassen hat: Einer der schwarzen Hotelboys hat ihr einen Zettel zugesteckt, auf dem stand, daß er gerne als ihr Diener mit nach Deutschland kommen würde.
Stell dir das einmal vor!
Kann ich nicht, sage ich.
Der Junge war höchstens fünfzehn, sagt Judith, er hat mich jeden Tag angeschaut und auf meine Entscheidung gewartet.
Und? Hast du ihm gesagt, daß du in deiner Zwölf-Zimmer-Villa schon drei Diener hast?
So ähnlich, sagt Judith.
Im Ernst?
Ich wollte nicht, sagt Judith, daß er glaubte, ich hätte etwas gegen ihn als Person. Ich wollte auch nicht sagen, daß ich keinen Platz und kein Geld habe, das hätte er mir nicht geglaubt. Europäer sind für ihn Menschen aus einem Märchenland. Als ich ihm dann sagte, daß ich bereits einen Diener habe, nahm er seinen Zettel und steckte ihn einer anderen Frau zu.
Dann hat er dich vergessen?
Ich hoffe.
Bei ihr in der Wohnung vertiefe ich mich in die kleinen, dennoch molligen Brüste von Judith und empfinde dabei genausoviel Glück wie Dankbarkeit. Obwohl ich mich seit Tagen auf diese Stunde freue, werde ich wenig später das Opfer einer Beinahe-Impotenz. Es dauert, bis ich soweit bin, und ich bin ungeschickt, weil ich vor Ratlosigkeit halb gelähmt bin. Erst durch die Bewegung in Judiths Geschlecht gewinnt mein eigenes Geschlecht Fahrt und Stärke, aber das Warten darauf war enthüllend und demütigend. Auch das Überwältigungsgefühl beim Samenabgang ist nicht so stark wie früher. Ich kann nicht feststellen, ob Judith meine Verlegenheit bemerkt oder übergeht. Ich liege in einem Berg von Kissen und kann verschleiern, daß mir Panikschweiß ausbricht. Nach einer Weile frage ich Judith, ob sie heute abend mitgeht zu Morgenthalers Party. Ach,
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