Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
lief darauf hinaus, dass er Barbara oben in der Halle an
einem der Ausgänge von den Schließfächern platzierte, während er sich ins Auto hinter dem Bahnhof setzte, von wo aus er die beiden anderen Ausgänge im Auge hatte. Optimal war das sicher nicht. Wenn der Däne wenigstens persönlich gekommen wäre, wie ursprünglich geplant. Aber der hatte nur angerufen und mitgeteilt, dass an seiner Stelle irgendeine Frau kommen würde, die Jučas noch nie gesehen hatte. Auch egal. Er würde sie am Koffer erkennen.
    Aber auch eine Stunde nach der abgesprochenen Zeit war noch immer keine Frau mit Koffer aus dem Bahnhof gekommen. Weder bei ihm noch bei Barbara. Er hatte sie sicherheitshalber mindestens zwanzigmal angerufen, merkte dann aber, dass er sie damit nur nervös machte. Am Ende schickte er sie ins Untergeschoss, damit sie selbst nachsah.
    Als sie zurückkam, erkannte er schon von Weitem, dass etwas nicht stimmte. Sie lief mit kurzen, verkrampften Schritten und hatte die Schultern bis zu den Ohrläppchen hochgezogen.
    »Er ist nicht mehr da«, sagte sie.
    Er musste selbst nach unten und nachschauen. Der Koffer war tatsächlich weg, irgendwie hatte das Weibsbild es geschafft, sich an ihm und Barbara vorbeizuschmuggeln. Und das Geld war auch nicht da. Da war er Amok gelaufen und hatte Panik unter den uniformierten dänischen Pygmäen ausgelöst. Also lächelte er und bezahlte den Schaden, um ihre kleinen Herzen wieder zu beruhigen.
    Aber mitten in dem Tumult hatte er sie gesehen. Die Frau. Sie hätte eine beliebige Touristin sein können, eine von denen, die dort herumstanden und gafften. Aber die Intensität ihres Blickes hatte seine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Sie hatte Angst. Sie hatte gesehen, welches Schließfach er zertreten hatte, und das machte ihr Angst. Und als sie sich umdrehte und weglief, war er ganz sicher: Das war die Frau, die den
Koffer abgeholt hatte. Aber wieso war sie zurückgekommen? Um über seine Niederlage zu triumphieren? Er würde es ihr schon zeigen. Selbst durch die alles vernebelnde Wut hatte er sie deutlich gesehen. Schmal wie ein Junge, kurzes dunkles Haar, absolut nicht der Typ, den man gern vögeln würde, außer man war schwul. Dieses Dreckstück. Der sollte man was ganz anderes in den Leib rammen.
     
    Natürlich hatte er sofort den Dänen angerufen, doch der hatte ihm nur was von Hitze, Missverständnissen, Verspätung und den besten Absichten vorgejammert. Sollte er das glauben? Er war sich nicht sicher. Die Wut brodelte noch immer in ihm, als er die schmale Treppe zur Straße hinaufging, vorbei an drei Russen, die ganz offensichtlich gerade einen Drogendeal laufen hatten. Idioten. Konnten die das nicht diskreter anstellen? Der Größte von ihnen, offenbar Aufpasser und Schläger in einer Person, schielte nervös zu Jučas rüber. Was seine Laune schlagartig hob. Sieh an, dachte er. Ich bin größer als du, du kleines Licht.
    Draußen schlug ihm die Hitze vom Asphalt und den von der Sonne aufgeheizten Backsteinen entgegen. Die Lederjacke war eine schlechte Wahl gewesen, aber er hatte damit gerechnet, dass es in Dänemark kälter sein würde. Jetzt konnte er sich nicht richtig entschließen, sie auszuziehen. Er schwitzte schnell, das war normal, wenn man gut in Form war, und es störte ihn nicht, wenn Barbara ihn mit großen Schweißflecken auf dem Hemd sah.
    »Andrias?«, rief Barbara ihm durch das heruntergekurbelte Seitenfenster zu. »Alles in Ordnung?«
    Er zwang sich, langsam und ruhig zu atmen. Er bekam zwar kein richtiges Lächeln zustande, entspannte sich aber trotzdem etwas.
    »Ja.« Tief einatmen. Ganz ruhig. »Er sagt, es ist was schiefgelaufen.
Er ist auf dem Weg nach Hause. Sobald er da ist, kriegen wir unser Geld.«
    »Das ist gut.« Barbara musterte ihn mit schräg gelegtem Kopf. Dadurch wirkte ihr Hals etwas länger. Eleganter. Sie war die Einzige, die ihn beim Vornamen nannte. Für alle anderen war er Jučas. Er selbst nannte sich auch so. Seit dem Tod seiner Großmutter, als er nach Vilnius zu seinem Vater geschickt worden war, weil keiner wusste, was er mit ihm machen sollte, sah er sich selbst nicht mehr als Andrias. Sein Vater hatte selten etwas anderes als »Junge« oder »Mistkerl« zu ihm gesagt, je nach Laune. Und später, im Heim, wurden alle nur beim Nachnamen gerufen.
    Er ließ sich auf den Fahrersitz des aufgeheizten Autos fallen. Man sah inzwischen, dass sie die letzten zwei Tage in ihrem Mitsubishi gehaust hatten. Pappbecher, Servietten und

Weitere Kostenlose Bücher