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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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nicht, wie sie das Mikas näher brachte.
    »Und … Mikas?«
    »Das Zweite, was uns auf diese Spur brachte, war die Tatsache, dass Barbara Woronska im Fall eines verschwundenen Kindes als eine von vier potenziellen Verdächtigen herausgepickt wurde«, sagte Valionis mit einem kurzen Blick auf einen Notizblock aus seiner schwarzen Aktenmappe.
    Sigitas Hände zitterten.
    »Ein Kind?«
    Valionis nickte.
    »Vor etwa einem Monat rief uns eine verzweifelte Mutter an, die ihre achtjährige Tochter vermisste. Sie war nach
dem Klavierunterricht von einer fremden Frau von der Musikschule abgeholt worden, die sich als die Nachbarin der Familie vorgestellt hatte. Dem Klavierlehrer kam das nicht weiter verdächtig vor, da die Mutter Krankenschwester ist und die Tochter öfter von anderen Leuten abgeholt wurde, wenn ihre Mutter gerade Schicht hatte. Leider war die Personenbeschreibung des Klavierlehrers nicht sehr brauchbar, er gab nur an, dass es möglicherweise eine dieser vier Frauen sein könnte.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Plastikfolie.
    »Und wo ist sie jetzt?«, fragte Sigita. »Haben Sie sie festgenommen?«
    »Bedauerlicherweise nein«, sagte Gužas. »Ihre Arbeitskollegen behaupten, sie seit Donnerstag nicht mehr gesehen zu haben, und an ihrer offiziellen Adresse wohnt sie offenbar schon seit März nicht mehr.«
    »Wieso läuft sie überhaupt frei herum? Wieso haben Sie sie nicht ins Gefängnis gesteckt, damit sie nicht noch mehr Leuten die Kinder stiehlt?«
    Valionis schüttelte verärgert den Kopf.
    »Beide Fälle wurden zu den Akten gelegt. Es wurde keine Anklage erhoben. Der Belgier reiste plötzlich heim, und später teilte uns sein Anwalt brieflich mit, dass er die Anzeige zurückziehen wollte. Und die Krankenschwester behauptete ebenso plötzlich, das Ganze wäre ein Missverständnis und das Kind sei wohlbehalten wieder zu Hause aufgetaucht.«
    »Ist das nicht etwas merkwürdig?«, fragte Sigita.
    »In der Tat. Es bestehen kaum Zweifel, dass die beiden irgendeiner Form von Erpressung nachgegeben haben.« Evaldas Gužas’ Blick ruhte mit unangenehmer Schwere auf ihr. »Darum sehe ich mich gezwungen, Sie noch einmal zu fragen, Frau Ramoškienė: Gibt es irgendjemand, der ein Motiv haben könnte, Sie auf diese Weise zu erpressen?«
    Sigita schüttelte stumm den Kopf. Wenn es nicht Dobrovolskij
war, konnte sie sich nicht vorstellen, wer sie erpressen oder ihr drohen könnte.
    »Aber dann müssten sie sich doch melden, oder?«, meinte sie. »Bis jetzt habe ich noch nichts gehört.«
    Die Machtlosigkeit ergriff sie wieder. Erneut tauchte ein ebenso klares wie unerträgliches Bild in ihrem Kopf auf: Mikas in einem Keller oder an einem anderen Ort, auf einer schmutzigen Matratze, weinend und verängstigt. Ich werde wahnsinnig, dachte sie. Das halte ich nicht aus.
    »Ich bitte Sie eindringlich, sich mit uns in Verbindung zu setzen, sobald sich jemand bei Ihnen meldet«, sagte Gužas. »Es ist uns nicht möglich, solche Menschen aus dem Verkehr zu ziehen, wenn keiner den Mut hat, sich an uns zu wenden.«
    Sie nickte mit schwerem Kopf. Aber wenn sie vor die Wahl gestellt würde, Mikas zu retten oder zur Polizei zu gehen, hatte die Polizei keine Chance.
    Valionis klappte die Aktenmappe mit einem Knall zu, bevor sich die beiden Polizisten erhoben. Valionis gab ihr seine Visitenkarte, und Gužas schüttelte ihr die Hand.
    »Es besteht noch Hoffnung«, sagte er. »Julija Baronienė hat ihre Tochter auch wohlbehalten zurückbekommen.«
    Sigita zuckte zusammen.
    »Wer, sagten Sie?«
    »Julija Baronienė. Die Krankenschwester. Kennen Sie sie?«
    Sigitas Herz machte einen Sprung.
    »Nein«, erwiderte sie. »Nicht dass ich wüsste.«
     
    Sie stand auf dem Balkon und sah den beiden Polizisten nach, als sie den Parkplatz überquerten, sich in ein schwarzes Auto setzten und wegfuhren. Ihre rechte Hand lag unterhalb des Nabels auf ihrem Bauch, ohne dass es ihr bewusst war. Manche Dinge vergaß ein Körper nie.
    Entgegen allem, was Sigita über Erstgeburten gehört hatte,
war die Geburt kurz und sehr, sehr schmerzhaft gewesen. Anfangs hatte sie geflucht und geschrien. Dann hatte sie nur noch geschrien, vier Stunden am Stück. Sie hatte sich an Julija geklammert, die Krankenschwester, und mit ihr an ihre Großmutter, und Julija blieb bei ihr, bis sie das Gefühl hatte, sie wäre der einzige Mensch, der sie noch in dieser Welt festhielt, Julijas kräftige, knochige Hände, Julijas Stimme und Julijas Blick. Ihre Augen waren

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