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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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mit den rabenschwarzen Haaren, dem kräftigen Make-up, der Jazzmusik und den Zigaretten des Professors? Nur die goldenen Piratenohrringe baumelten noch immer vor dem faltigen Hals, wirkten jetzt aber eher wie ein absurdes, exotisches Relikt. Wie konnte ein Mensch in acht Jahren so altern? Es war erschreckend.
    »Bist du vielleicht gekommen, um dich zu entschuldigen?«, fragte Jolita.
    »Was ? «
    »Na ja, ich dachte bloß. Es könnte ja sein, dass du es irgendwann bereut hast, so auf deiner Familie herumgetrampelt zu sein, die immer nur dein Bestes wollte.«
    Sigita war sprachlos.
    »Du … ihr … ich …«, stammelte sie. »Ich bin auf niemand herumgetrampelt.«
    »Acht Jahre ohne ein Wort - das ist doch wohl dasselbe, als würde man auf jemand spucken?«
    »Aber …«
    »Du hast mir von Anfang an leidgetan. In solche Probleme zu schliddern. Und das noch so jung. Ich hätte dir wirklich
gerne geholfen. Aber dann hast du mir genau das Gleiche angetan wie deiner Mutter und deinem Vater. Bist einfach verschwunden, ohne dich noch einmal umzublicken oder auch nur ein Wort des Dankes zu verlieren.«
    Sigita stand mit offenem Mund da. Sie starrte auf die kleine Frau Orlovienė, die mit glänzenden Augen und leicht geöffnetem Mund dasaß und das Drama wie eine Seifenoper im Fernsehen verfolgte.
    »Deine Großmutter Julija ist tot, weißt du das?«, fragte Jolita.
    »Ja«, brachte Sigita heraus. »Mama … hat mir einen Brief geschrieben.« 14 Tage nach der Beerdigung. Das hatte wehgetan, aber sie hatte nicht vor, ihrer Tante das zu erzählen.
    »Kaffee?«, fragte Frau Orlovienė und streckte ihr eine der sauberen Tassen entgegen. »Ist der gebrochen?« Sie warf einen Blick auf den eingegipsten Arm.
    »Ja«, antwortete Sigita automatisch. »Und nein, danke. Jolita, hat hier jemand nach mir gefragt?«
    »Ja«, sagte Jolita, ohne zu blinzeln. »Vor ein paar Wochen war so ein Mann hier. Er wollte wissen, wie du jetzt mit Nachnamen heißt und wo du wohnst.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Ich habe es ihm natürlich gesagt«, erwiderte Jolita ruhig. »Warum sollte ich das denn nicht tun?«
    »Er war ganz höflich«, stimmte Frau Orlovienė ihr zu. »Vielleicht nicht gerade das, was man einen adretten jungen Mann nennt, aber höflich war er.«
    »Wie sah er aus?«, fragte Sigita, obgleich sie es bereits zu wissen glaubte.
    »Groß«, erklärte Frau Orlovienė. »So wie diese … wie nennt man die noch?« Sie hob beide Arme und mimte einen Bodybuilder. »Und ganz kurze Haare hatte er. Aber höflich war er wirklich.«

    Sigitas Gedanken sortierten sich langsam, aber sicher in einer ordentlichen Reihe, statt ihr kreuz und quer durch den Kopf zu schießen. Sie wusste, dass Jolita niemals freiwillig Mieter bei sich aufgenommen hätte. Ganz offensichtlich gab es keinen Professor mehr. Weder montags noch donnerstags. Und vermutlich auch keine Arbeit. Trotzdem standen Sherry und Kuchen auf dem Tisch, und die Kaffeemaschine war nagelneu.
    »Hat er dir Geld gegeben?«, fragte sie Jolita.
    »Geht dich das was an?«
    Also ja. Sigita schwang herum und griff nach der alten Kaffeedose, in der Jolita die Nudeln aufbewahrte. Nudeln und gewisse andere Dinge.
    »Sigita!« Jolita versuchte, ihr zuvorzukommen, aber Sigita war schneller. Sie presste die Dose mit dem Gipsarm an die Brust und riss mit der rechten Hand den Deckel herunter. Jolita versuchte ihr die Dose zu entreißen, die daraufhin lärmend zu Boden ging. Kleine sternförmige Nudeln tanzten über das abgenutzte Linoleum. Blitzschnell stellte Sigita den Fuß auf den braunen Umschlag, der mit den Nudeln herausgefallen war.
    »Was hast du dir nur dabei gedacht?«, schrie sie, plötzlich außer sich vor Wut.
    »Pst!«, zischte Jolita. »Du weckst ihn noch auf.«
    »Da kommt ein wildfremder Mann und will dir Geld geben, wenn du ihm sagst, wo ich wohne. Er sieht aus wie ein Gorilla. Verdammt, was hast du dir dabei gedacht? Bist du dir im Klaren darüber, dass er Mikas entführt hat?«
    »Das ist doch wohl nicht meine Schuld!«
    »Du hast es ihm auf jeden Fall leicht gemacht.« Sigitas Stimme zitterte. »Du hast mich verkauft. Und mich nicht einmal gewarnt. Und jetzt haben sie mir Mikas weggenommen!«
    Frau Orlovienė saß mit offenem Mund da, fast fiel ihr die
Kaffeetasse aus der Hand. Im gleichen Moment flog die Küchentür auf. In der Türöffnung stand ein sichtlich verärgerter junger Mann in Unterhemd und schwarzen Boxershorts. Seine blau gefärbten Haare standen in alle Richtungen ab, und

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