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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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anderen Straßenseite wurde ein Sonnenstrahl von einem Fenster reflektiert und fiel so auf das Gesicht des Jungen, dass er die Augen zukneifen musste.
    (Ach wie ist die Welt so kalt, alles Licht nur Schatten ist)
    Nina fröstelte und legte dem Jungen vorsichtig die Decke über die Schultern. Im gleichen Augenblick sah sie das Mädchen aus der Helgolandsgade. Sie blickte direkt durch die Heckscheibe, und die blassen Konturen ihres Kopfes wirkten irgendwie viel zu nah. Nina zuckte zusammen, dann nickte sie dem Mädchen zu und öffnete die Beifahrertür.
    »I will pay you«, sagte sie eilig. »You just tell me how much you need, and where we can go.«
    Es war 12.06 Uhr.
    Das Mädchen ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und warf einen nervösen Blick die Stenosgade hinunter, ehe sie die Tür hinter sich zuzog. Sie roch nach schwerem Parfüm und etwas
anderem Süßen, Chemischen. Waschmittel vielleicht. Sie suchte etwas in ihrer Tasche und zog schließlich ein Paket Kaugummi heraus.
    »500 crowns an hour, 3000 for eight hours. How long will it take?«
    Das Mädchen warf einen abschätzenden Blick über die Schulter auf den Jungen und lächelte Nina von der Seite an.
    »He is so little«, sagte sie. »So cute.«
    Dann reichte sie Nina unvermittelt die Hand, die verdutzt danach griff.
    »Marija«, sagte das Mädchen langsam.
    »I will pay for the eight hours«, erklärte Nina und schickte ein stilles Gebet an die Bank. Auf den letzten Kontoauszügen hatte sie knapp über der Dispogrenze gelegen, dummerweise konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, ob das vor oder nach Eingang ihres Gehalts gewesen war. Geldangelegenheiten waren noch nie ihr Ding gewesen.
    Nina drehte den Zündschlüssel um und saß einen Moment lang mit den Händen am Lenkrad da. Wo sollte sie hinfahren? Zu McDonalds? In ein Café? Schließlich bog sie resolut von der Vesterbrogade ab und fuhr in Richtung Amager. Ein wenig frische Luft würde ihnen allen guttun.

     
    Durch die gelben Jalousien hatte man Ausblick auf die Straße, den Parkplatz und die rußgeschwärzten Betongiebel einer Lagerhalle. Alle 20 Minuten fuhr ein Stadtbus vorbei. Das wusste Jan, weil er nun schon fast vier Stunden aus diesem Fenster starrte.
    Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit den Faktoren Langeweile und Überdruss. Er kam sich ein bisschen wie bei einer Examensprüfung vor, in der man in den ersten zehn Minuten sein gesamtes Wissen ausgebreitet hat und dann nichts anderes mehr tun konnte, als sich bis ins Unendliche zu wiederholen. Und obgleich der Grund seiner Anwesenheit grausam war und es ihn eigentlich nicht langweilen durfte , über einen brutal ermordeten Menschen zu reden, der ihm obendrein noch nahegestanden hatte, war es genau dieses Gefühl, das sich jetzt in ihm breitmachte. Er hatte den Eindruck, seine Lippen würden mit jeder Wiederholung anschwellen und sein Mund immer trockener werden. Die Worte nutzten sich ab. Seine Konzentration ließ nach. Jedwede Natürlichkeit war ihm abhandengekommen.
    »Ich habe Karin Kongsted vor zweieinhalb Jahren in Bern kennengelernt. Sie arbeitete in der Klinik, in der meine Nierenoperation vorgenommen wurde. Vielleicht hatten wir einfach mehr Kontakt, weil wir beide Dänen in einem fremden Land waren, das ist ja häufig so. Ich musste nach der Operation weiter beobachtet und medizinisch betreut werden, wobei mir natürlich daran lag, meine Firma so wenig wie möglich zu
vernachlässigen. Da erschien es mir die beste Lösung, Karin zu bitten, mit nach Dänemark zu kommen und als meine Privatkrankenschwester zu arbeiten.«
    Inzwischen saß ihm ein älterer Polizist gegenüber, dem er die Geschichte erzählte. Ein ruhiger, phlegmatischer Mann. Sein Name war Anders Kvistgård, und verglichen mit den anderen war er der Formellste. Er nannte ihn »Herr Marquart« und erinnerte mit seinem weißen Hemd und dem marineblauen Pullover eher an einen Angestellten der Staatsbahn als an einen Polizisten. Er war die Nummer drei. Zu Beginn hatte sich ein jüngerer Kollege so forsch auf ihn gestürzt, als würden sie sich schon aus dem Sandkasten kennen. Danach kam eine Frau, die in Jans Augen definitiv zu jung und zu feminin für diesen Beruf war. Und jetzt also Zugführer Kvistgård. Dabei ging es jedes Mal wieder von vorne los: Entschuldigen Sie, könnten Sie das vielleicht noch einmal wiederholen, wie war das? Würden Sie uns bitte erzählen …? Wie würden Sie selbst es beschreiben …?
    »Privatkrankenschwester. Das klingt

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