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Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall

Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall

Titel: Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Valeria!» Seine Stimme war heiser, er roch nach Zigaretten.
    «Ich möchte Ihnen allen sagen, wie Leid es mir tut, was Ihrer Familie zugestoßen ist. Ich habe Ihre Tochter gesehen und kann mir vorstellen, wie schwer dieser Verlust für Sie ist.» Laura wich seinem Blick nicht aus.
    Roberto Cabun aber schloss kurz die Augen, legte eine Hand auf seine Brust. Dann trat er noch näher an Laura heran. «Sie hat sich nicht umgebracht, Signora Commissaria! Valeria war stark und schön, sie wollte leben! Sie hatte unser Blut und die Kraft der Cabuns. Etwas muss passiert sein, Commissaria, in dieser Stadt! Ich wollte sie nicht gehen lassen – aber alle haben gesagt, dass man heute die Mädchen gehen lassen muss. Hätte ich nur nicht auf sie gehört … Ich … ich kann es nicht ertragen! Ich muss sie sehen! Wo ist sie, Commissaria? Wo ist meine Valeria?» Roberto Cabuns Stimme war immer intensiver, gleichzeitig aber auch immer leiser geworden. Das tiefe Aufschluchzen, mit dem er verstummte, wurde von den übrigen Familienmitgliedern weitergetragen wie das Summen eines Insektenschwarms.
    Endlich nahm Laura die Gesichter der anderen wahr, scharfe, angespannte Gesichter. Zwei ältere Frauen, zwei junge Burschen, ein Mann, der Roberto Cabun sehr ähnlich sah, vermutlich sein Bruder.
    Seltsam, dass Valerias Vater Roberto heißt – genau wie Roberto Malenge, dachte Laura. Ich muss sie hier wegbringen. Das ist kein Ort, um so schwere Dinge zu besprechen.
    Laura führte die Familie Cabun in die Kantine, sorgte für Kaffee und Wasser, hörte zu – den Klagen, den Vorwürfen. Aber je mehr sie hörte, desto deutlicher wurde, dass auch Valerias Familie keine Ahnung hatte, wer die junge Frau eigentlich war. Fröhlich war sie und heftig und schwierig, keineswegs depressiv, nein – aber sie hatte verrückte Träume vom Leben – hatten wir die nicht alle einmal? Sie wollte weg aus der Heimat – wollten nicht alle einmal weg und sind dann dageblieben? Oder zurückgekommen?
    Die Aussagen widersprachen sich, schlossen alle Möglichkeiten ein. Selbst Lauras behutsame Fragen brachten keine Klärung. Gab es vielleicht einen jungen Mann in der Heimat, mit dem Valeria verbunden war? Natürlich, fast alle jungen Männer der Gegend schwärmten für sie. Einen mochte sie vielleicht besonders. Aber es war ganz harmlos, eine Freundschaft. Nichts Ernstes. Sie war doch noch so jung! Noch nicht einmal einundzwanzig. Und Laura dachte an Roberto Malenges Löwin.
    Hatte sie etwas über ihr Leben in München erzählt? Am Telefon oder in Briefen? Nur dass es ihr gut gehe, dass sie viel lerne, dass die Kinder lieb seien, die sie zu betreuen habe. Nichts über die Eltern der Kinder? Nein, nichts. Über Freunde oder Freundinnen? Nichts, gar nichts. Und im Lauf des Gesprächs wurden alle immer stiller, schienen zu begreifen, dass sie Valeria kaum kannten.
    Jeder der Anwesenden schien ein anderes Bild der jungen Frau in sich zu tragen. Nur eines stand für alle fest: Jemand hatte Valeria umgebracht, und dieser Jemand würde dafür büßen! Roberto Cabun ballte hilflos seine Fäuste und drohte einem imaginären Feind.
    Alle wollten sie Valeria sehen und Abschied von ihr nehmen, sie anfassen, um zu begreifen, dass sie wirklich tot war. Die Eltern, Tante und Onkel, die Brüder. Jemand musste sie dabei begleiten, und der Jemand war natürlich Laura, weil sie Italienisch sprach. Sie ging nicht mit hinein, hatte rasch einen italienischen Priester zur Unterstützung gerufen, flüchtete bei seiner Ankunft und überließ ihm die Cabuns.
    Beinahe halb vier. Roberto Malenge war sicher bereits im Präsidium.

COMMISSARIO ANGELO GUERRINI beobachtete eine Spinne, die vor dem Fenster seines Büros ein Netz webte. Es war eine sehr kleine Spinne, und er bewunderte die absolute Unbeirrbarkeit, mit der sie hin und hereilte. Immer wieder wanderte sein Blick von den Akten auf seinem Schreibtisch zum Fenster, und seine Gedanken schweiften von diesem seltsamen Todesfall, den die Nachbarn einer alten Frau angezeigt hatten, zur Spinne am Fenster und von ihr zu den Spinnen in seiner Wohnung, die im Winter regelmäßig in ihren Netzen verhungerten, weil sie vergeblich auf Beute hofften.
    Er fand, dass es in seinem Büro nach Staub roch, dass es zu klein war und dass er sich im Augenblick wie eine dieser verhungerten Spinnen fühlte, die vergeblich auf Nahrung warteten. Langsam stand er auf und öffnete behutsam das Fenster, um die winzige Baumeisterin nicht zu stören. Tief atmete er

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