Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
und her. Kai hatte sie tatsächlich zum Ball eingeladen, bevor Iko in Einzelteile zerlegt worden war. Cinder hätte genug Gelegenheiten gehabt, ihr das zu erzählen, aber damals wollte sie die Einladung nicht annehmen und fand es nicht so wichtig.
Als Kai einer anderen Journalistin zunickte, wurde Cinder bewusst, dass sie eine Frage verpasst hatte.
»Wusstet Ihr, dass sie ein Cyborg ist?«, fragte eine Frau mit unverhohlenem Ekel.
Kai starrte sie an. Er machte einen verwirrten Eindruck, dann ließ er seinen Blick über die Menge schweifen und trat wieder näher ans Pult. Zwischen seinen Augenbrauen war deutlich eine Zornesfalte zu erkennen.
Cinder biss sich von innen in die Wange und wappnete sich gegen seine Verachtung. Wer würde einen Cyborg zu einem Ball einladen?
Doch stattdessen sagte Kai nur: »Ob sie ein Cyborg ist oder nicht, spielt keine Rolle. Nächste Frage.«
Cinder ließ ihre Metallfinger in den Gelenken knacken.
»Eure Majestät, wart Ihr darüber informiert, dass sie Lunarierin ist, als Ihr diese Einladung ausgesprochen habt?«
Er sah aus, als wäre er vor Erschöpfung kurz vor einem Zusammenbruch, schüttelte jedoch den Kopf. »Nein. Selbstverständlich nicht. Ich bin – offensichtlich war das naiv – davon ausgegangen, dass es im Asiatischen Staatenbund keine Lunarier gibt. Von den geladenen Diplomaten selbstverständlich abgesehen. Nun wurde mir vor Augen geführt, wie leicht sie sich unter die Bevölkerung mischen. Wir werden zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, um Lunarier von einer illegalen Emigration abzuhalten, und diejenigen, die bereits im Staatenbund leben, aufgreifen und ausweisen. Eine Unterwanderung der Statuten der Interplanetarischen Vereinbarung von 54 D.Z. in dieser Sache liegt mir fern. Ja bitte, die Dame in der zweiten Reihe?«
»Hat Ihre Majestät, Königin Levana, oder ein Mitglied des lunarischen Hofes sich zur Flucht der Inhaftierten geäußert?«
Kais biss die Zähne aufeinander. »O ja, sie hat eine oder zwei Bemerkungen gemacht.«
Hinter Kai räusperte sich ein Regierungsbeamter. Kais Gereiztheit wich einer höflichen, neutralen Miene.
»Königin Levana wünscht, dass Linh Cinder aufgespürt und vor Gericht gestellt wird.«
»Eure Majestät, seid Ihr der Ansicht, diese Ereignisse könnten den diplomatischen Beziehungen zwischen der Erde und Luna abträglich sein?«
»Jedenfalls sind sie ihnen nicht förderlich.«
»Eure Majestät …« In einer der hinteren Reihen erhob sich ein Mann. »Augenzeugenberichten vom Ball zufolge scheint die Inhaftierung Linh Cinders Teil einer Vereinbarung zwischen Euch und der Königin von Luna gewesen zu sein. Ihre Flucht könnte demnach einen Krieg auslösen. Haben wir Grund anzunehmen, dass die Flucht des Cyborgs eine Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellt?«
Kai war im Begriff, sich am Ohr zu kratzen, doch als er sich dessen bewusst wurde, ließ er die Hand aufs Pult sinken. »Seit Generationen steht das Wort ›Krieg‹ wie ein Schreckgespenst zwischen der Erde und Luna. Es ist meine feste Absicht – so wie es die meines Vaters war –, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um die heikle Beziehung zu Luna nicht zu gefährden. Dazu gehört in erster Linie, Linh Cinder zu finden. Das wäre alles, vielen Dank.«
Er verließ die Bühne, winkte ab, als weitere Fragen gestellt wurden, und war augenblicklich von flüsternden Beratern umringt.
Schmollend ließ Thorne sich auf den Sitz des Copiloten sinken. »Er hat mich gar nicht erwähnt. Nicht ein einziges Mal.«
»Mich auch nicht«, sagte Iko ohne Mitgefühl für Thorne.
»Du bist ja auch nicht aus dem Gefängnis geflohen.«
»Das stimmt zwar, aber Seine Majestät und ich sind uns einmal auf dem Markt begegnet. Ich hatte den Eindruck, wir hätten ein starkes Band geknüpft. Du nicht auch, Cinder?«
Die Worte passierten Cinders Audio-Interface, aber sie maß ihnen keine Bedeutung bei und antwortete nicht. Sie war mit Kai beschäftigt.
Er musste die Verantwortung für ihr Verhalten auf sich nehmen und sich ungerechterweise den Auswirkungen ihres Handelns stellen. Er allein musste sich nun mit Königin Levana befassen.
Sie schloss die Augen und rieb sich die pochenden Schläfen.
»Ich bin aber auch ein gesuchter Ausbrecher, so wie Cinder«, fuhr Thorne fort. »Denen ist doch klar, dass ich geflohen bin, oder?«
»Vielleicht sind sie dir dankbar«, murmelte Cinder.
Thorne grummelte irgendetwas Unzusammenhängendes. Cinder massierte sich
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