Die MacGregors 05 - Stunde des Schicksals
einzurichten.«
»Dass du allein leben wirst, gefällt mir nicht.«
Sie sah ihn kurz an. »Ob es dir gefällt oder nicht, spielt zwar keine Rolle, aber ich bin eine erwachsene Frau. Du lebst doch auch allein, oder?«
»Das ist etwas anderes.«
»Warum?«
Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Warum? Weil er sich um sich selbst keine Sorgen machte. Aber um sie. Doch das sagte er nicht, sie würde es nie akzeptieren. Inzwischen kannte er sie gut genug. »Ich lebe nicht allein. Ich habe Personal.« Er wartete nur darauf, dass sie widersprechen würde.
»Dafür werde ich keinen Platz haben. Sieh nur, wie grün das Gras ist.«
»Du wechselst das Thema.«
»Ja, das tue ich. Nimmst du dir oft nachmittags frei?«
»Nein.« Er brummelte etwas in sich hinein, beschloss dann aber, es gut sein zu lassen. Er würde sich ihre Wohnung selbst ansehen und dafür sorgen, dass sie darin sicher war. Falls nicht, würde er die Wohnung eben kaufen. »Aber ich dachte mir, ich muss dich schon vor dem Krankenhaus abfangen, wenn ich mit dir allein sein will.«
»Ich hätte Nein sagen können.«
»Aye. Aber ich habe darauf gehofft, dass du nicht ablehnen würdest. Was tust du dort eigentlich? Noch darfst du doch keine Nadeln und Messer in Menschen stechen.«
Sie lachte. Der Wind war wunderbar, roch frisch und würzig. »Meistens besuche ich Patienten, rede mit ihnen und bringe ihnen etwas zu lesen. Ich mache alle möglichen Arbeiten, bei denen Hilfe nötig ist. Und ich helfe auch dabei, die Betten frisch zu beziehen.«
»Dafür hast du doch nicht studiert!«
»Nein, aber ich lerne viel dabei. Die Ärzte und Schwestern haben wenig Zeit für ihre Patienten, weil sie einfach zu beschäftigt sind. Ich dagegen habe die Zeit, wenn auch nicht mehr lange. Es hilft mir dabei, zu verstehen, wie es ist, stundenlang dazuliegen, krank, mit Schmerzen oder einfach nur gelangweilt. Daran werde ich mich erinnern, wenn ich selbst praktiziere.«
So hatte er es noch nie gesehen, aber er erinnerte sich daran, wie seine Mutter nach langer Krankheit gestorben war. Damals war er zehn gewesen. Er sah auch wieder vor sich, wie schwer es für sie gewesen war, ans Bett gefesselt zu sein. Den Geruch in ihrem Zimmer würde er ebenso wenig vergessen wie den Geruch in den Minen. »Macht es dir nichts aus, die ganze Zeit bei kranken Menschen zu sein?«
»Wenn es mir nichts ausmachen würde, hätte ich nicht den Wunsch gehabt, Medizin zu studieren.«
Daniel beobachtete, wie der Wind ihr das Haar aus dem Gesicht wehte. Er hatte seine Mutter geliebt und jeden Tag an ihrem Bett gesessen, aber irgendwann hatte ihm vor ihrer Krankheit und dem Dahinsiechen gegraut. Anna war jung und voller Leben. Trotzdem hatte sie sich entschieden, für Kranke da zu sein. »Ich verstehe dich nicht.«
»Manchmal verstehe ich mich selbst nicht.«
»Sag mir, warum du jeden Tag ins Krankenhaus gehst, damit ich dich verstehen kann.«
Sie dachte an ihren Traum. Warum sollte ausgerechnet er es verstehen, wenn es sonst niemand tat? Dann fiel ihr Mrs. Higgs ein. Vielleicht würde er das verstehen. »In der Klinik liegt eine Frau. Vor zwei Wochen hat man ihr einen Tumor entfernt. Und einen Teil ihrer Leber. Ich weiß, dass sie Schmerzen hat, aber sie beklagt sich fast nie. Sie muss reden, und das kann ich ihr geben. Anders kann ich ihr jetzt noch nicht helfen.«
»Aber es ist wichtig.«
Sie sah ihn an, und ihre Augen wurden dunkler, ihr Blick intensiver. »Ja, für uns beide. Heute hat sie mir erzählt, wie sehr sie es bereut, dass sie nach dem Tod ihres Mannes nicht wieder geheiratet hat. Sie möchte, dass jemand sich an sie erinnert. Ihr Körper versagt, aber ihr Verstand ist noch so klar. Vorhin habe ich ihr von dir erzählt …«
»Von mir?«
Sie hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. »Ja. Mrs. Higgs kam auf Männer zu sprechen«, erklärte sie nüchtern, »und ich erzählte ihr, dass ich einen kenne, der mir auf die Nerven geht.«
Er nahm ihre Hand und küsste sie. »Danke.«
Um ihre Heiterkeit zu unterdrücken, trat sie aufs Gaspedal. »Jedenfalls habe ich dich ihr beschrieben. Sie war beeindruckt.«
»Wie hast du mich beschrieben?«
»Bist du auch noch eitel, Daniel?«
»Absolut.«
»Nun, wenn du es wissen willst – als arrogant und ungezügelt. Ich entsinne mich nicht mehr, ob ich auch »unhöflich« erwähnt habe. Der Punkt ist, ich kann jeden Tag ein paar Minuten an ihrem Bett sitzen und ihr von der Welt draußen erzählen. Vielleicht hilft ihr das, ihr
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