Die MacGregors 05 - Stunde des Schicksals
Entgeistert verharrte Anna regungslos. »Myra, ich weiß, du bist schnell, und wir haben uns zwei Wochen lang nicht gesehen, aber heiraten? Wen denn? Peter?«
»Wer? Oh nein, natürlich nicht.«
»Natürlich nicht«, murmelte Anna. »Ich weiß. Jack Holmes.«
»Unsinn.«
»Steven Marlowe.«
Myra nestelte an ihrem Rocksaum. »Anna, den kenne ich doch kaum.«
»Also wirklich, vor sechs Monaten hast du …«
»Das war vor sechs Monaten, okay?«, unterbrach Myra sie und wurde zum ersten Mal, seit Anna sie kannte, rot. »Vergiss alles, was ich über ihn gesagt habe, ja? Und verbrenn am besten alle Briefe, in denen ich ihn erwähnt habe.«
»Liebes, die sind von allein in Flammen aufgegangen, ehe ich sie zu Ende lesen konnte. Du hättest feuerfestes Papier benutzen sollen.«
Obwohl sie unendlich nervös war, musste Myra grinsen. »Du redest mit einer verlobten Frau. Das habe ich alles hinter mir gelassen. Sieh mal.« Sie hob die linke Hand.
»Oh.« Anna starrte auf den Brillanten. »Wunderschön, Myra, wirklich wunderschön.« Sie umarmte ihre Freundin und lachte. »Aber wie kann ich mich für dich freuen, wenn ich nicht einmal weiß, wen du heiratest?«
»Herbert Ditmeyer.« Myra wartete auf den erstaunten Gesichtsausdruck und wurde nicht enttäuscht.
»Aber du fandest ihn doch immer …« Anna räusperte sich.
»Spießig«, ergänzte Myra und lächelte glücklich. »Und das ist er auch. Und schrecklich nüchtern und korrekt. Aber er ist auch der süßeste Mann, dem ich je begegnet bin. In den letzten zwei Wochen …« Mit verträumtem Blick hielt sie inne. »Ich wusste ja nie, wie es ist, wenn ein Mann dir zeigt, dass du etwas ganz Besonderes bist. Ich bin mit ihm ausgegangen, weil ich sah, wie schwer es für ihn war, mich überhaupt zu fragen. Er hat mir leidgetan, und ich habe mich auch geschmeichelt gefühlt«, gestand sie ein. »Und dann bin ich wieder mit ihm ausgegangen, weil das erste Mal so viel Spaß gemacht hat. Herbert kann so lustig sein. Irgendwie merkst du es gar nicht, und dann, plötzlich, hat es dich gepackt.«
»Ja, ich weiß.«
»Du warst ihm immer eine so gute Freundin. Ich bin froh, dass er sich nicht in dich verliebt hat. Weißt du, er hat mir gestanden, dass er mich seit Jahren liebt.« Mit fahrigen Fingern zog sie eine Zigarette hervor. »Wir sind zwei Wochen lang ausgegangen, und da hat er es mir gesagt. Ich war so perplex, dass ich kein Wort herausbekam. Dann wollte ich mich zurückziehen, ganz vorsichtig und sanft, um ihm nicht wehzutun.«
Anna hob die beringte Hand ihrer Freundin an. »Sieht aber nicht danach aus, als hättest du dich zurückgezogen.«
»Nein.« Myra schien es selbst noch nicht richtig fassen zu können. Sie starrte auf den blitzenden Stein. »Denn plötzlich ging mir auf, dass ich verrückt nach ihm war. Ist das nicht irre?«
»Ich finde es wunderbar.«
»Ich auch.« Myra drückte die Zigarette aus. Ungeraucht. »Und heute Abend hat er mir diesen Ring auf den Finger gestreift und verkündet, dass wir um acht nach Maryland fliegen und dort heiraten.«
»Heute Abend?«, wiederholte Anna skeptisch. »So schnell, Myra?«
»Warum warten?«
Ja, warum warten? Sie könnte hundert gute Gründe vorbringen, aber keiner würde durch das verträumte Funkeln in Myras Augen dringen. »Bist du dir sicher, Myra?«
»So sicher wie noch nie in meinem Leben, Anna. Freu dich für mich.«
»Das tue ich.« Tränen verschleierten Annas Blick, als sie Myra an sich drückte. »Das weißt du doch.«
»Dann zieh dich an.« Halb lachend, halb weinend hielt Myra sie von sich ab. »Du bist meine Brautjungfer.«
»Du willst, dass ich heute Abend mit dir nach Maryland fliege?«
»Ja. Wir haben beschlossen durchzubrennen. Das ist einfacher, als sich mit Herberts Mutter auseinanderzusetzen. Sie mag mich nicht und wird mich wahrscheinlich nie mögen.«
»Oh Myra …«
»Aber das ist uns egal. Ich liebe Herbert, und er liebt mich. Ich will gar keine große Hochzeit. Aber ohne meine beste Freundin kann ich einfach nicht heiraten. Ich brauche dich, Anna. Ich will Herbert heiraten, aber ich habe solche Angst.«
Alle Einwände waren vom Tisch gewischt. »Gib mir zwanzig Minuten, ja?«
Myra umarmte sie noch mal. »Weil du dabei bist, werde ich daran glauben.«
»Ich muss meinen Eltern allerdings eine Nachricht hinterlassen.« Anna hielt den Kugelschreiber schon in der Hand.
»Oh Anna.« Myra fuhr sich mit der Zungenspitze über die Zähne. »Ich weiß, du kannst nicht lügen, aber …
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