Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
verdunkelte sich, aber er sagte nichts dazu. Nachdem Frederic ihnen eine gute Nacht gewünscht hatte, legte er den Arm um Charmaines Schultern und führte sie in sein Ankleidezimmer, wo ein heißes Bad für sie bereitstand. In der Hoffnung, dass das Wasser Pauls bittere Worte tilgen würde, legte sie den Kopf auf den Rand und schloss ihre brennenden Lider.
John verschwand für kurze Zeit, um seine Schwestern ins Bett zu bringen. Als er zurückkam, setzte er sich zu ihr auf den Wannenrand. Verlegen rutschte Charmaine tiefer ins Wasser, um ihre Brüste zu verbergen. Doch John war mit seinen Gedanken sehr weit weg. »Willst du mir nicht verraten, was Paul gesagt hat? Ich weiß, dass du geweint hast.«
Sie schloss die Augen. »Es war schrecklich«, flüsterte sie. »Aber ich habe nichts anderes erwartet.«
»Das tut mir leid, my charm . Ich hätte es dir gern erspart. Doch als Paul heute Morgen verschwand, habe ich nichts Böses mehr erwartet.«
»Wenn es heute nicht dazu gekommen wäre, dann womöglich morgen.« Doch nur heute hätte Paul ihre Hochzeitsnacht noch verhindern können.
»Hat er dich verletzt?«
»Nur mit Worten, aber ich habe ihn auch nicht geschont. Was er gesagt hat, ist unwichtig. Ich will nicht, dass das zwischen uns steht.«
»Aber mir ist es wichtig. Wir müssen uns gegenseitig verstehen, wenn unsere Ehe Bestand haben soll. Was hat er gesagt?«
Sie sah ihn einen Augenblick lang an. »Er hat mich eine Närrin genannt … dass du mich nie so lieben würdest, wie er das tut … dass dein Herz nur …«
»Colette gehört«, vollendete er.
»Ja«, flüsterte sie.
»Verdammt!« Er fluchte, aber zu Charmaines Kummer bestritt er es nicht. Als sie zu ihm aufsah, schwammen ihre Augen in Tränen. »Das glaubst du ihm doch nicht, oder? Das darfst du einfach nicht glauben.«
»Ich glaube es ja nicht. Ich will es nicht glauben.«
»Ich liebe dich, Charmaine, und nur dich allein. Colette ist tot. Es stimmt, dass ich Colette geliebt habe. Aber ich hatte mich lange vor meiner Rückkehr im August für ein Leben ohne sie entschieden. Die Liebe, die Colette und ich einst geteilt haben, hat mich zu einem besseren Menschen gemacht und mich gelehrt, was im Leben wichtig ist. Ich lasse nicht zu, dass ich dich verliere, da ich endlich weiß, dass du meine Gefühle erwiderst.«
»Hast du vor deiner Rückkehr nach Virginia Paul geraten, mich zu heiraten?«, fragte sie, obwohl sie sich vor der Antwort fürchtete.
Nachdenklich ruhte sein Blick auf ihr. »Das war vor Pierres Tod. Damals habe ich begriffen, dass ich Charmantes verlassen musste. Ich habe dich sehr gemocht, aber ich hatte Angst, meinen Schwestern Schmerz zuzufügen … oder dir. Nach Pierres Tod haben sich alle diese Ängste bestätigt. Ich bin fortgegangen, weil ich allen Unglück gebracht habe … meinem Vater, Paul und meinen Schwestern … und vor allem dir … und Pierre! Die Folgen waren entsetzlich. So wollte ich nicht länger leben. Ich wollte niemandem das antun, was mein Vater mir angetan hatte. So scheinheilig wollte ich nicht sein.«
»Und warum bist du zurückgekommen?«
»Ein Freund hat mir zu dieser Reise geraten und mich überzeugt. Außerdem hatte ich große Sehnsucht nach meinen Schwestern … und nach dir.«
»Wärst du auch ohne Einladung gekommen?«
»Vermutlich nicht. Wie gesagt, ich wollte mich aus dem Leben auf Charmantes heraushalten. Ich habe dich vermisst, aber dass ich dich liebe, wurde mir erst bewusst, als ich dich vor einer Woche vor dem Haus stehen sah. Ich war überrascht, dass Paul dich nicht längst geheiratet hatte. Und froh .«
»Und hast du dich aus allem herausgehalten?«
»Nicht, als ich dich zum Ball geholt habe. Ich war wütend darüber, wie Paul dich behandelt hat. Er hatte sechs lange Monate Zeit, um dich für sich zu gewinnen, und doch hat er sich die Gelegenheit entgehen lassen!«
»Und nach dem Ball?«
»Als du in der Nacht zu mir gekommen bist, habe ich dich gefragt, ob du es aus freien Stücken tust. Nennt man das Einmischung?«
Röte stieg ihr in die Wangen. »Nein.«
Forschend sah er sie an. »Und du, Charmaine? Bist du nur gekommen, weil du Paul und Anne zusammen gesehen hast?«
»So etwas fragt ein selbstsicherer John Duvoisin?«, neckte sie ihn. Doch sein ernstes Gesicht machte deutlich, dass er genauso verletzlich war wie sie. »Nein, John. Der Anblick der beiden hat mich nicht berührt. Ich bin gekommen, weil ich dich liebe. Das habe ich zum ersten Mal begriffen, als Paul mir den
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