Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
können.
Das Pflaster brannte unter ihren Fußsohlen wie glühende Holzkohle, und ihre Brust pumpte in der stechenden Mittagshitze wie ein Blasebalg. Ihr Haar löste sich bei jedem ihrer Schritte immer mehr aus dem lose geflochtenen Zopf und fiel schließlich in wilder Unordnung über ihren Rücken.
Als sie über die Schulter zurückblickte, sah sie nur das dichte Gewimmel der Passanten, aber keinen Verfolger. Erleichtert drückte sie sich in die nächste Gassenmündung und wäre um ein Haar gestürzt, als ihre nackten Füße auf glitschigen Fischabfall gerieten. Sie stützte sich mit beiden Händen an der Hauswand ab und hielt würgend die Luft an. Der Gestank von verwesenden Gedärmen und anderen unbrauchbaren Fischresten war hier in der Nähe der Verkaufsstände so stark, dass es einem die eigenen Innereien nach außen stülpte.
Immer noch mit angehaltenem Atem lief sie weiter, planlos geradeaus, nach rechts, dann wieder nach links, je nachdem, welche Richtung ihr gerade günstiger erschien. Sie rannte nicht mehr, blieb aber im Laufschritt, schon weil sie ihre Füße nicht länger als nötig mit dem Pflaster in Berührung bringen wollte. Der Schmerz an ihren Fußsohlen war einem dumpfen Pochen gewichen, kein gutes Zeichen. Vermutlich würde sie den restlichen Tag damit zubringen dürfen, ihre eigenen Wunden zu verarzten.
Nach einer Weile blieb sie kurz stehen und orientierte sich. Sie hatte keine Ahnung, ob sie noch in San Polo oder schon in Santa Croce war, doch als sie den nächsten Kanal entlang nach rechts schaute, sah sie zwischen den Häuserzeilen am Ende des Wasserweges den Canalezzo in der Sonne leuchten. Eine Häuserecke weiter döste ein Gondoliere auf dem Ruderbrett seines Bootes vor sich hin, den Kopf auf die Brust gesenkt und den Mund im Schlaf weit offen. Bis auf einen angeschmutzten Lendenschurz war er nackt. Ein übler Sonnenbrand breitete sich auf seinen Schultern aus, und als er auf Sanchias Zuruf hin zu sich kam und sich aufrichtete, war zu sehen, dass auch seine Brust und sein Bauch rettungslos verbrannt waren.
»Bitte! Ich habe es eilig. Bringt mich zum Kloster San Lorenzo.«
Er starrte sie an wie eine Sagengestalt, und Sanchia griff unwillkürlich mit der einen Hand an ihr erhitztes Gesicht und mit der anderen in ihr offenes Haar. Gleichzeitig wurde sie gewahr, dass die Verschnürung am Oberteil ihres Kleides sich gelockert hatte und einen unziemlich großen Teil ihres Busens sehen ließ. Hastig raffte sie den Ausschnitt über der Brust zusammen und stieg in die Gondel. Aufatmend ließ sie sich auf die Bank unter der Felze sinken und wies den Ruderführer erneut an, sich zu beeilen. Sie kramte in ihrem Beutel herum und förderte einige Münzen zu Tage, um ihm zu demonstrieren, dass sie sich die Fahrt leisten konnte.
Der Gondoliere, ein erkahlender Hänfling mit Trichterbrust, bedachte sie mit einem gewinnenden Lächeln, wobei er sich bemühte, seine fehlenden Vorderzähne zu kaschieren. Er schob sein Ruder in das seitlich am Boot angebrachte Führungsholz und löste die Fangleine.
»Für Euch ist mir kein Weg zu weit!«, versicherte er galant. »Ich werde Euch sogar eine Serenade singen!«
»Ich hoffe, du singst auch für einen notgeilen Hurenbock «, tönte eine gelassene Stimme von der Fondamenta.
Sanchia fuhr auf, aber es war bereits zu spät. Lorenzo sprang in die treibende Gondel und packte das Ruder, um sein Gleichgewicht zu halten. Ungeachtet der Proteste des Gondoliere bewegte er sich geschickt zur Bootsmitte und war mit zwei Schritten bei der Felze. Er hatte sich neben Sanchia gesetzt, bevor diese mehr tun konnte, als empört nach Luft zu schnappen.
»Hat die Dame Euch eingeladen?« Der Gondoliere musterte den ungebetenen Passagier mit drohend erhobenem Ruder.
»Wir sind alte Bekannte.« Lorenzo langte in seinen Beutel und warf ein paar Silbermünzen vor die Füße des Gondoliere. Dieser ließ um ein Haar das Ruder fahren, so eilig hatte er es, die Münzen einzusammeln. »Soll ich gleich singen oder später?«, fragte er eifrig.
»Lieber gar nicht.« Lorenzo griff nach oben und zog das Tuch herab, um die kleine Kabine gegen Blicke abzuschirmen.
Sanchia krampfte die Hände im Schoß zusammen und starrte ihn an, immer noch fassungslos darüber, dass er ihr bis hierher hatte folgen können, ohne dass sie es bemerkt hatte.
Im mattgoldenen Dämmerlicht der Felze wirkte sein Gesicht unirdisch, beinahe erhaben in seiner Strenge. Er sah aus wie ein unerbittlicher Rachegott,
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