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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Pasquale auf den Gedanken, dass der junge Patrizier vielleicht Drogen nahm. Pasquale war selbst ein leidlich guter Giftmischer und kannte sich ein wenig aus. Es war leicht, bei der Einnahme gewisser Stoffe Grenzen zu überschreiten. Zwischen anregender Bewusstseinserweiterung und einer Entgleisung der Persönlichkeit lag manchmal nur ein schmaler Grat.
    Grimani hatte die Sklavin auf ihre Kammer geschickt, aber ihm war anzusehen, dass er noch nicht fertig war mit ihr. Oder mit wem auch immer. Er war wie eine Ladung Schwarzpulver, bei der die Lunte brannte.
    Für Pasquale machte ihn das in mehrfacher Hinsicht interessant. Unbeherrschte Menschen waren häufig wertvolle Informationsquellen, denn sie redeten gern, viel und schlecht über andere. Und sie neigten dazu, in ihrer Aggressivität Dinge zu tun, die andere verletzten oder zumindest aus der Reserve lockten. In diesem Fall waren gleich mehrere Menschen betroffen, die zum Kreis des jungen Patriziers zählten.
    Da war einmal der Zehnerrat Giovanni Caloprini, der in diesem Haus ein und aus ging, weil er ein enger Vertrauter von Enricos Vater Giorgio war, ebenfalls ein Mitglied im Rat der Zehn. Beide ließen sich nach der vorgeschriebenen Pause immer wieder zur Wahl aufstellen, wobei sich ihre Amtsperioden auf eine Weise überschnitten und ergänzten, dass der eine jeweils die Linie des anderen fortführen konnte und umgekehrt. Ein echter Machtwechsel fand selten statt. Die turnusmäßige Ablösung war in Wahrheit nur Postenschieberei. Wer einmal die Macht geschmeckt und Gefallen daran gefunden hatte, stieß selten auf Hindernisse, wenn er sie behalten wollte. Er musste nur hin und wieder mit anderen die Positionen tauschen.
    Neben Giovanni Caloprini spielte im Leben der Grimanis auch dessen Sohn Lorenzo eine Rolle. Der junge Grimani verabscheute Lorenzo, eine interessante, aber bis jetzt recht inhaltsleere Information.
    Pasquale hatte außerdem über Lorenzo herausgebracht, dass er im Auftrag der Serenissima diplomatische und oft hoch geheime Missionen erfüllte, und zwar, wie im Hause Grimani des Öfteren zu hören war, mit größtem Erfolg. Dieses Wissen verursachte bei Pasquale gemischte Gefühle. Er war sich nicht schlüssig, ob er den jungen Mann um sein aufregendes Leben in fremden Ländern beneiden oder ihn für seine Leistungen bewundern oder ihn ganz einfach nur hassen sollte. Meist siegte die Abneigung, denn Lorenzo hatte nicht nur Sanchia und Eleonora übel mitgespielt, sondern musste sich in gewisser Weise auch die Verbrechen seiner Familie zuschreiben lassen. Pasquale war kein großer Bibelverfechter, aber gerade im Fall der Caloprinis wurden sogar rudimentäre Kenntnisse aus dem Alten Testament zu unwiderlegbaren Weisheiten.
    »Es ist so weit, Domine.« Er vergewisserte sich, dass Enrico an der richtigen Stelle stand, dann hielt er die hohle Hand hinter die einzige im Zimmer brennende Kerze und blies sie aus.
    Für den Bruchteil eines Augenblicks schien das Zimmer in Schwärze zu versinken, und Enrico gab einen Laut des Unmuts von sich. Doch Pasquale hatte bereits an der Schnur gezogen, die den dunklen Samtvorhang in Bewegung setzte, wodurch der letzte, entscheidende Spiegel freigegeben wurde. Er mochte diesen Effekt, und Enrico würde ihn sicherlich ebenfalls zu würdigen wissen.
    Pasquale hatte seinen Auftraggeber richtig eingeschätzt. Enrico lachte überrascht und ungläubig auf und streckte die Hand aus, als könnte er auf diese Weise das Wunder begreifen. Schimmernde Fenster öffneten sich auf die Weite des Canal Grande, wo in hellem Sonnenlicht die Gondeln über das Wasser schwebten. In einem weiteren Fenster schienen sich vor blauem Himmel Berge von Diamanten zu häufen, und in einem dritten sahen sie zahllose, seltsam verzerrte blonde Puppen, umrahmt von schillernden Arabesken. Enrico berührte den Rand dieses Fensters und griff ins Leere, in einen kleinen Kasten, und das Bild der Puppen löste sich in tanzende Facetten auf.
    »Wie habt Ihr das gemacht?«, rief Enrico begeistert aus.
    »Das ist Kunst«, behauptete Pasquale ungerührt. »Wenn Ihr mich dann entlohnen wollt …«
    Enrico, der staunend herumging, griff an seinen Gürtel, löste einen Beutel und warf ihn Pasquale zu. Der Spiegelmacher fing ihn geschickt im Flug auf und schob ihn in seine eigene Gürteltasche.
    Enrico würde schnell genug merken, dass es nur Taschenspielertricks waren, nichts weiter als Reflexionen, Licht und Zubehör. Spiegel, Gipswände, dicke Samtvorhänge, eine

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