Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
»Natürlich bist du auch einer.«
»Aber nicht im Tranchieren«, meinte Pasquale amüsiert.
Sie errötete. »Der Obertranchiermeister tranchiert die Speisen sogar in der Luft. Er wirft sie hoch und säbelt sie exakt an den vorherbestimmten Stellen entzwei, und er fängt sie mit dem Tranchiersäbel wieder auf und legt sie kunstgerecht auf die Platte vor dem Ehrengast.«
»Das klingt ziemlich … akrobatisch.«
»So wird es an den großen Fürstenhöfen gemacht. Ich habe es leider erst einmal erlebt, auf der Hochzeit einer Cousine. Es war …« Sie hielt inne und meinte dann schwärmerisch: »Herrlich!«
»Wer wäre der Ehrengast?«
Ihre Wangen färbten sich noch eine Schattierung dunkler. »Du.«
Der Kragen wurde ihm eng. »Was macht der Großseneschall?«
»Er ist der Oberherrscher über das Bankett. Er ist für die gesamte Planung und Durchführung zuständig.«
»Aber was tut er genau?«
»Nun, er sucht zum Beispiel die passenden Dekorationen aus. Er wählt die Verse und die Kostüme.«
»Kostüme?«
»Na ja. Für das Motto. So ein richtig großes, edles Bankett muss unter einem bestimmten Motto stehen. Etwas …« Sie dachte kurz nach. »Etwas Mythologisches zum Beispiel.« Hastig fuhr sie fort: »Falls du nicht weißt, was das bedeutet – ich wusste es auch lange nicht. Sanchia hat es mir erklärt. Es hat mit Göttern zu tun, griechischen oder römischen und so. Alle, die bei dem Bankett mitwirken, müssen sich mottogerecht kleiden. Es werden sogar gedruckte Programme verteilt, damit alle Gäste dem Ablauf der Feier folgen können. Von Anfang bis Ende ist alles perfekt inszeniert, wie ein großes Bühnenstück.«
»Erzähl weiter.« Er war wider Willen fasziniert und wollte tatsächlich mehr über diese Kunst des Tafelns hören. »Wer macht noch mit bei so einem Spektakel?«
»Es gibt einen Credenzière mit seinen Helfern, einen Großmundschenk mit seinen Untermundschenken, Pagen, Diener, Troubadoure, Tänzer, Musiker – ach, der ganze Saal ist ein einziges großes Kunstwerk! Eine wundervolle Komposition aus Menschen, Dekorationen, Schauspiel, Musik – und Essen!«
Ihre Augen leuchteten, und ihr Busen wogte auf eine Weise, die Pasquale an ein Bankett der besonderen Art denken ließ.
»Ich muss gehen.« Hastig stemmte er sich hoch. Seine Prothese scharrte über den Bretterboden, und er stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Seine Finger zerdrückten dabei ein Sahnetörtchen, doch er nahm es gar nicht richtig wahr. Alles, was er sah, war ihr rosiges Gesicht, ihren lächelnden Mund, ihre strahlenden Augen.
Ihm war übel. Er hatte vergessen, wie das war, und sie brachte es ihm jedes Mal wieder zu Bewusstsein. Sie war eine Frau, eine richtige, liebenswerte Frau, die mit ihm lachte, zu ihm sprach, ihm zu essen gab. Die ihn an ihrem Alltag teilhaben ließ. Die ihn glauben machte, dass sein Leben dort, wo es ein einziger blinder Fleck war, das eines normalen Mannes sein könnte.
Es gab andere, die ihn für ein paar Soldi in ein schäbiges Hinterzimmer mitnahmen und dort mit abgewandtem Gesicht die Röcke hoben und die Beine breit machten. Die von Anfang bis Ende schwiegen und ihn auch dann nicht ansahen, wenn er wieder ging, schwitzend, verstört und mit einem Schmerz in seinem Inneren, gegen den sich sein wehes Bein geradezu lächerlich ausnahm.
Ihr eben noch so fröhliches Gesicht war erstarrt, das Leuchten in ihren Augen erloschen. »Warum musst du schon fort? Du hast noch gar nicht aufgegessen!«
War Essen das Einzige, woran sie denken konnte? Zorn brandete in ihm auf, und mit einer einzigen Bewegung fegte er die Speisen vom Tisch. Kuchen und Pasteten segelten bis in den letzten Winkel des Zimmers, was immerhin zur Folge hatte, dass der Hund von seinem Bein abließ und sich auf ein paar Fleischbröckchen stürzte.
Das war jedoch der einzige positive Effekt, denn Pasquale hatte dem zerstörerischen Impuls kaum nachgegeben, als er es auch schon heftig bereute.
Eleonora schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Ihre sonst immer rosigen Wangen waren bleicher als die Sahne, die immer noch an seinen Fingern klebte, und ihre Lippen zitterten.
Er wollte sich entschuldigen, doch seine Stimme gehorchte ihm nicht. Er setzte zwei Mal an, ihr zu sagen, wie leid es ihm tat, ihr Essen missachtet zu haben, doch er brachte kein einziges Wort heraus.
Er gab es auf. Es war an der Zeit, diesem Schaustück ein Ende zu machen und zu
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