Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
über ihren Hals, bis er das Klopfen ihres Pulses spüren konnte. Tief einatmend, schob er seine Handfläche in ihren Nacken, in dieses herrliche, volle Haar. Angespannt und zittrig, wie er war, hätte er am liebsten alles gleichzeitig getan. Sie an sich gerissen, sie geküsst. Sie in den Armen gehalten, ihren wunderbaren Duft eingesogen.
Doch seine Angst war größer. Sie hatte völlig Recht. Er war missgestaltet, er war viel zu alt für sie, und er war so dumm, dass es dafür kaum noch Worte gab. Wie kam er überhaupt dazu, sie anzufassen?
Hastig, als hätte er sich verbrannt, ließ er die Hand sinken und tat einen klappernden Schritt zurück. »Das ist ein Fehler«, sagte er krächzend. »Du bist eine Braut des Herrn.«
»Der hat schon mehr als genug davon, mehr als er glücklich machen kann.« Sie packte seine Hand, zog ihn zu sich heran und drängte ihn auf ihr Bett. Gleichzeitig zerrte sie ihr Brusttuch aus dem Kleid. »Ich weiß nicht, warum, aber das hier scheint dich mehr zu reizen als meine Pastetchen. Sei’s drum, ich wollte schon immer wissen, wie es sich anfühlt. Besonders mit dem Mann, den ich liebe.« Sie lief zur Tür, schob den Riegel vor und kam eilig zum Bett zurück. Entschlossen legte sie sich halb auf, halb neben ihn und schob die Arme um ihn.
Pasquale wollte protestieren, doch als ihre nackten Brüste nur noch eine Handbreit von seinem Gesicht entfernt waren, merkte er, dass ihm die Argumente ausgegangen waren. Er mochte ein einbeiniger, von Narben übersäter und nicht mehr ganz junger Trottel sein, aber das schien plötzlich nicht mehr die geringste Rolle zu spielen.
Er griff nach ihren Brüsten und stöhnte unterdrückt auf, als er die pralle, weiche Fülle spürte.
»Ist mit deinem Bein alles in Ordnung?«, fragte sie besorgt. »Oder tut dir dein Auge weh?«
»Ja«, gab er gepresst zurück. »Nein.«
»Was denn nun?«
»Es ist alles in Ordnung.«
»Pasquale«, sagte sie mit schwankender Stimme, »meinst du, du könntest mich küssen? Und mir sagen, was ich tun soll?«
Er fand, dass die Zeit der Worte vorbei war und stattdessen Taten gefragt waren. Mit beiden Händen ihren Kopf umfassend, zog er sie an sich und kam ihrem Wunsch nach.
Der Blinde streckte die Hand aus, tastete kurz herum und packte Simon bei der Schulter.
»Ich flehe Euch an, helft mir! Man sagt, Ihr habt schon viele wieder sehend gemacht! Wie könnt Ihr mich da wegschicken!«
Sanchia blickte von der nässenden Wunde auf, die sie gerade säuberte. Die verwirrte alte Frau, die mit gesenktem Kopf vor ihr auf einem Schemel saß und sich summend hin und her wiegte, hielt inne. »Mutter?«, fragte sie unsicher. »Mutter, wo bist du?«
Sanchia gab ein beruhigendes Gemurmel von sich und hielt nach der Tochter der Alten Ausschau. Diese brachte die Alte einmal in der Woche zur Behandlung, sofern sie gerade daran dachte. Die letzten beiden Male hatte sie es vergessen. Die offene Stelle am Bein der Frau stank nach süßlicher Fäulnis.
»Die Gefahren dieser Operation sind zu groß«, sagte Simon. Der jüdische Arzt war erschöpft. Die Falten in seinem Gesicht wirkten schärfer als sonst, und unter seinen Augen zeigten sich schwere Tränensäcke. In der vergangenen Nacht war ihm eine Frau unter den Händen weggestorben. Sie war mit Zwillingen niedergekommen, und als die verzweifelte Hebamme ihn dazugerufen hatte, waren die Blutungen bereits so stark gewesen, dass niemand der Gebärenden mehr helfen konnte. Eines der Neugeborenen hatte überlebt, kein Trost für den schockierten Ehemann, der nun mit vier kleinen Kindern allein war.
»Bitte!«, rief der Blinde. Er war ein kräftiger Mann in den Sechzigern, mit gesunder Gesichtsfarbe und gut gekleidet, mit einem reich verzierten Samtwams, einem federgeschmückten Barett und fein gewirkten Calze. Die Kette mit seinen Insignien, die von Schulter zu Schulter reichte, wies ihn als reichen Kaufmann aus, der sich die besten Ärzte leisten konnte. Im Hintergrund wartete ein livrierter Diener, den Sanchia schon ein paar Mal hier gesehen hatte. Vermutlich hatte Simon ihn jedes Mal unverrichteter Dinge weggeschickt, sodass heute sein Herr persönlich hier erschienen war, um eine Entscheidung zu seinen Gunsten zu erzwingen.
»Ich weiß, dass es Barbiere gibt, die es machen, aber ich will meine Augen nicht irgendeinem Kurpfuscher anvertrauen. Man sagte mir, dass der Jude Simon der einzige Medicus in Venedig ist, der den Star auf eine Weise sticht, dass es das Augenlicht
Weitere Kostenlose Bücher