Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
waren offenbar nicht für diese niedrigen Dienste bestimmt. Von ihren Händen konnte sie das leider nicht sagen, sie waren so schrundig und schwielig wie zwei Stücke Holz, die zuerst jahrelang im Wasser und dann zum Trocknen in der Sonne gelegen hatten. Sie konnte die Haut noch so oft mit Wollfett einschmieren, es brachte überhaupt nichts. Das Schlimme war, dass jedermann ihre Hände sofort sehen konnte. Ihre Brüste konnte sie ja schlecht herzeigen, ganz anders als Cornelia, die praktisch ständig mit heraushängendem Busen im Haus herumlief, wenn sie nicht gerade im Bett lag und jammerte, weil sie Kopfschmerzen oder Schwächeanfälle hatte. Sie gab mit ihren Milchdrüsen an, als wäre sie die Muttergottes persönlich, mit zwei Heiligenscheinen vorn auf ihrem Gewand, wo sich die riesigen nassen Ränder abzeichneten, wenn ihre Brüste – was andauernd vorkam – wieder einmal ausgelaufen waren. Cornelia war achtundzwanzig Jahre alt und fast so breit wie groß. Immaculata war schon ziemlich dick, aber Cornelia schlug sie in dem Punkt um Längen. Die Amme besaß die Statur und Konsistenz einer gewaltigen Qualle, nur dass aus ihrem Körper zusätzlich ein immenser Busen wuchs, gegen den sogar die Brüste von Eleonora kaum mehr als zwei Hügelchen waren.
Trotz ihrer Abneigung wagte Eleonora nur selten, die Amme zu schelten. Nicht nur, weil sie Angst hatte, Cornelia könne noch vor Ablauf der zweijährigen Stillzeit beleidigt ihrer Wege ziehen, sondern weil Cornelia die Stimme und den Verstand eines vierjährigen Mädchens hatte und sie mit den Augen eines getretenen Kalbes anschaute, wenn sie ausgeschimpft wurde.
Seit sie im Alter von siebzehn Jahren eine Totgeburt gehabt hatte, schlug sie sich als Amme durchs Leben. Sie wurde nicht müde zu betonen, dass ihre Milch die ganze Zeit über niemals versiegt sei, im Gegenteil, es sei mit jedem Kind, das man ihr an die Brust gelegt habe, immer mehr geworden.
Wenn man ihr glauben konnte, hatte sie bereits in den vornehmsten Palazzi gearbeitet, für mehr adlige Familien, als diese überhaupt in der gesamten Zeit Kinder hatten hervorbringen können. Eleonora war von einem tiefen Misstrauen durchdrungen, was die Amme betraf, und sie überwachte mit Argusaugen alle Handgriffe, mit denen Cornelia sich an Agostino zu schaffen machte. Anfangs hatte sie bei jedem Stillvorgang danebengesessen und aufgepasst, dass die Amme den Kleinen nicht streichelte oder mit Koseworten bedachte.
»Das ist die alleinige Aufgabe der Mutter«, hatte sie Cornelia angeherrscht, eines der wenigen Male, dass sie im Beisein des Kindes laut geworden war. Die Amme hatte sich gekränkt gefügt und fortan dem Kleinen nur noch ihre Brust gereicht. Von ihren naiven Liebesbekundungen blieb er seither verschont. Eleonora hatte der Amme auch bei Strafe verboten, das Kind im Bett zu stillen oder mit ihm im Lehnstuhl einzuschlafen. Sie litt entsetzliche Angst, Cornelia könne Agostino mit einem ihrer breiten, wabbelnden Arme oder gar, Gott helfe ihm, mit ihrer Riesenbrust erdrücken. Oder, was ihr demgegenüber eher harmlos erschien, ihn herunterfallen lassen.
Sie hatte kaum an ihn gedacht, als sie ihn auch schon rufen hörte. Manchmal fand sie es beinahe unheimlich, wie stark ihre innere Verbindung war. Häufig kam ihr sein kleines Gesicht in den Sinn, und einen Moment später krähte er auch schon los. Ihr Herz weitete sich vor heftiger Liebe, während sie alle Töpfe und Rührlöffel am Herd fahren ließ und die Treppe hinaufrannte.
»Ich komme, mein Kleiner!«, rief sie
Sie hörte, wie Immaculata abfällig vor sich hinmurmelte. Zweifellos waren es wieder irgendwelche Gemeinheiten, weil sie fand, dass der Kleine verhätschelt wurde. Aber sogar Sanchia hatte gesagt, niemals könne ein kleines Kind genug Zuneigung erfahren.
Eleonora stieß die Tür zu der Kammer auf, in der sich sein Bettchen befand. Cornelias Bett stand über Kopf an dem seinen, damit sie schnell wach war, wenn er sich meldete. Doch mit der Zeit schien sie gegen sein Geschrei immun geworden zu sein.
Sie lag schnarchend auf dem Rücken, das Gewand vorn geöffnet und von Milchflecken übersät. Ihr Mund stand ebenfalls offen. Ein Speichelfaden lief heraus, und diese Verdoppelung unappetitlicher, unwillkommener Körpersäfte war zu viel für Eleonora.
Wütend holte sie Luft. Sie würde die Amme davonjagen. Agostino war alt genug. Sanchia hatte zwar behauptet, für ein Kind sei es am gesündesten, zwei Jahre lang Muttermilch zu trinken,
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