Die Mächte des Feuers
dich von mir fern, was immer du beabsichtigst, für wen du arbeitest oder wer du auch immer bist.« Sie hängte ein und setzte sich auf den Schreibtisch. Diesen Verlauf hätte das Gespräch nicht nehmen sollen. Mit der Stimme war auch sein Gesicht deutlicher als vorher in ihre Erinnerung zurückgekehrt. Ein schönes Gesicht, direkt zum Verlieben. Leider würde es für sie keine Zukunft mit Eris geben.
Sie rief Kleinhuber herein. »Wenn dieser Mann noch einmal anruft, hängen Sie ein. Glauben Sie ihm kein Wort«, schärfte sie ihm ein und erhob sich vom Tisch. »Kennen Sie jemanden beim Secret Intelligence Service?«
»Sie meinen den britischen Geheimdienst?« Kleinhuber staunte Bauklötze. »Nein, Großmeisterin.«
»Rufen Sie trotzdem dort an und sagen Sie denen Bescheid, dass ein Mann durch die Gegend reist, der sich Eris Mandrake nennt und behauptet, er gehöre zu ihnen.« Sie setzte den Hut auf und öffnete den Mund – als ein schwarzer Schatten am Fenster vorbeihuschte.
Kleinhuber zuckte zusammen und schaute nach draußen. »Haben Sie das auch gesehen, Großmeisterin?«
»Geben Sie Alarm! Schicken Sie mir alle verfügbaren Drachentöter sofort ins Café am Marienplatz«, rief sie und rannte hinaus. »Es gibt Arbeit!«
XIV.
»Die Linie Satyrus
Da ihr Ahne hei einer Überfahrt in Seenot geriet, haben sich die Nachfahren dem Kampf gegen die Wasserdrachen verschrieben. Was Saint George in der Luft, ist die Linie Satyrus in den G e wässern. Sie begeben sich mit speziellen Taucheranzügen auf Jagd und bringen sich zusammen mit Säure in den Drachen ein, um ihn von innen heraus zu zersetzen. Aus irgendeinem Grund ist diese Linie noch nicht ausgestorben – so unglaublich es klingt…«
aus der Serie ›Drachentöterinnen und Drachentöter im Verlauf der Jahrhunderte‹
Im ›Münchner Tagesherold‹, Königlich-Bayerisches Hofblatt vom 1. Juni 1924
21. Januar 1925, München, Königreich Bayern, Deutsches Kaiserreich
Wäre eine Lokomotive in das Café gerast, hätte es wohl den gleichen Effekt gehabt: Die Scheiben wurden nach innen gedrückt und barsten, die Mauern erhielten Risse, einzelne Steine wurden zerschmettert. Die Splitter flogen als scharfkantige Geschosse im Café umher und verletzten etliche Besucher. Auf einer Länge von fünf Metern wurde die Wand mit der Wucht einer Dampframme eingerissen, Winterkälte strömte durch das Loch und drückte Staub in den Raum. In den Schwaden aus feinstem Schmutz und verirrten Schneeflocken leuchteten zwei Smaragde, dann erklang ein dumpfes, warnendes Grollen.
Die Menschen im Café befanden sich in Panik, überall erklang Schreien und Weinen. Die Flucht vor dem unbekannten Angreifer hatte begonnen.
»Arsenie?« Grigorij zielte zwischen die grünen Augen und schoss zwei Mal mit der Pistole. Die Kugeln trafen auf einen harten Widerstand und sirrten als Querschläger davon, eine weitere Scheibe ging zu Bruch. Um ihn herum riefen Männer durcheinander, hasteten hinter seinem Rücken hustend vorüber und zerrten ihre Frauen zum Ausgang. Er hörte, wie Stühle verschoben wurden oder umfielen, mehrfach klirrten Besteck und Porzellan.
»Mister Skelton, wo ist Madame Sàtra?«, rief Grigorij und hob den Stock, um ihn wie einen Degen zu führen. Mit einer raschen Bewegung entfernte er die Schutzkappe am Ende, unter der eine lange, robuste Klinge zum Vorschein kam.
Onslow erschien neben ihm, in der Hand hielt er einen Teil von Arsenies Ärmel. »Ich hatte sie eben noch zur Seite gezogen«, hustete er. »Sie liegt bestimmt unter einem Tisch…«
»Suchen Sie sie und verschwinden Sie. Beide«, befahl Grigorij und trat dem Monstrum entgegen, das über die Trümmer schritt und sich dabei unentwegt umsah. Es schien, als suche es etwas oder jemanden. »Danach holen Sie die Großmeisterin!«
Plötzlich trat das grauhäutige Monstrum aus der Wolke heraus; es ragte mit dem Kopf bis fast an die Decke. Die Schwingen hatte es ausgebreitet und wirkte dadurch noch imposanter. Spitze Frauenschreie erklangen, das Wesen war auch von den Flüchtenden gesehen worden. Hastig versuchten die Menschen zu entkommen.
Knurrend kam es auf den Fürsten zu und streckte die rechte Hand aus, als wolle es ihn wie einen hinderlichen Einrichtungsgegenstand zur Seite schieben.
Grigorij hatte schon beim ersten Anblick des Schemens vermutet, dass es sich nicht um einen Drachen handelte, dennoch konnte er nicht sagen, was sich ihm da als Gegner entgegenstellte. Von der
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