Die Mächte des Feuers
Es werden sich keinerlei Unsittlichkeiten zutragen, auch wenn das Licht verdunkelt ist oder sogar während der Anrufung verlöschen wird.« Sie lächelte der älteren Dame zu. »An diesen Geschichten sind Hochstapler schuld, liebe Frau von Schomus. Unter dem Deckmantel der Trance ließen sich einige gerne gehen, redeten gotteslästerlich und obszön und verführten die Teilnehmer der Sitzungen der Reihe nach. Sie wurden von der Society of Psychical Research rasch des Betrugs überführt.« Die mehr rötlichen als braunen Augen richteten sich auf den Mann. »Sie müssen keine Bedenken haben. Die Moral bleibt gewahrt.«
Der Mann verzog den Mund. Arsenie konnte sich gut vorstellen, dass er nur deswegen an der Seance teilnahm, weil er auf eine ungewöhnliche Ausschweifung spekuliert hatte. Sie liebte es, mit den Wünschen der Männer zu spielen. »Sind alle der Herrschaften bereit?«
»Ja, Madame«, erfolgte die geraunte Antwort der vier Frauen und zwei Männer.
Ihr Blick schweifte über die neugierigen Gesichter, teilweise entdeckte sie eine Spur von Angst darin. »Bevor wir in die Geisterwelt eintauchen, muss ich fragen, ob die Anwesenden auch ihren Obolus für meine Mühe entrichtet haben«, sagte sie leise, sodass sich alle unwillkürlich auf ihre Stimme konzentrierten.
Sie erntete ein Nicken und ein Handzeichen von einem ihrer Diener, der genau Buch geführt hatte. Arsenie lächelte belohnend, vor allem in Richtung der Männer, und streckte die Arme nach rechts und links aus. »So fassen wir uns alle bei den Händen, um unsere Energien zusammenzuführen, die ich ins Jenseits zu Ihren Verlorenen und Geliebten senden werde.«
Zögerlich wurden Finger ineinander gehakt.
Arsenie trug nicht umsonst Handschuhe. Sie hasste es, feuchte, schwitzige Hände zu berühren, die sie an rohes Fleisch oder einen nassen, kalten Putzlappen erinnerten. Sie richtete die Augen fest auf die Kerzenflamme und fokussierte sie. Sie spürte das Ziehen der Pupillen, wie sie sich verengten und zu kleinen schwarzen Punkten wurden, aus denen Energie wie aus dünnen Düsen strömte. Das Ektoplasma war für die Menschen um sie herum noch unsichtbar.
»Ihr Geister in der anderen Welt, welche die unsrige doch umschließt, ich rufe euch!«, wisperte sie mit viel Betonung. Das hätte sie zur Anrufung nicht tun müssen, aber es wirkte besser auf die Teilnehmer. »Kommt zu mir, ich beschwöre euch. Gesellen Sie sich zu uns, Herr Karl von Schomus. Zeigen Sie sich, und vernehmen Sie den Wunsch Ihrer Gattin Wilhelmina.«
Es tat sich nichts, die Flamme flackerte nicht einmal.
»Karl von Schomus, ich rufe Sie!« Abrupt wurde Arsenies Stimme dunkler, fordernder. »Zeigen Sie sich!« Sie öffnete einen Spalt im Zwischenraum, der Jenseits und Diesseits voneinander trennte, und sandte Energie als Köder aus, um die Seele herbeizurufen. Sie würde dem Ektoplasma einfach nicht widerstehen können.
Plötzlich knurrte der Pudel von Frau von Schomus, der auf dem Arm ihres Dieners hockte, und krümmte sich zusammen, die Ohren klappten nach hinten.
Auf einen Schlag verlosch die Kerze, und darüber erschien das leuchtende Gesicht eines Mannes um die siebzig, der einen langen schwarzen Bart trug. Er wirkte ärgerlich, verwirrt, schaute sich unentwegt um; das Ektoplasma hatte seinen Dienst getan.
»Mein lieber Karl«, quiekte seine Gemahlin erschrocken.
»Lösen Sie die Finger nicht«, zischte Arsenie und hielt die Konzentration aufrecht. Sie spürte, dass die Geisterebene in Aufruhr geriet, es gab Strömungen und Verwirbelungen, welche sie so noch nicht erlebt hatte. Die Seance stand unter keinem guten Stern. »Stellen Sie Ihrem Gemahl die Frage, Frau von Schomus.« Ihre Atmung beschleunigte sich, die Geister strengten sie an und sogen ihr das Ektoplasma regelrecht aus dem Leib.
»Mein lieber Karl«, stammelte die dickliche Frau. »Ich suche die Nummer unseres Geldschranks, in dem du die Wertpapiere aufbewahrt hast. Bitte, nenn sie mir.«
»Du wirst sie niemals erfahren!«, donnerte er. Im Zimmer wurde es kühler, und ein leichter Wind fuhr durch die Haare der Anwesenden. »Eher sollen sie im Tresor verrotten, als dir nützen, Ehebrecherin!«
Frau von Schomus erbleichte, sah schnell nach rechts und links, danach zu Arsenie. »So war das nicht gedacht, Madame Sàtra«, beschwerte sie sich.
»Ich habe keinen Einfluss auf das, was sich in der Vergangenheit ereignet hat, Frau von Schomus«, erwiderte sie abwesend, ihre Brust hob und senkte sich schneller. Sie
Weitere Kostenlose Bücher