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Die Mächte des Feuers

Die Mächte des Feuers

Titel: Die Mächte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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ihrem Vater und den Lehrern des Officiums erhalten und traute es sich zu, gegen ein kleineres Exemplar zu bestehen.
    Sie verließ das Officium und stieg in den wartenden Phänomen 12, der ihr samt Fahrer vom Officium zur Verfügung gestellt wurde. Die luxuriöse Maybach-Limousine und auch den Opel 30 hatte sie abgelehnt. Sie legte Wert auf Geschwindigkeit, nicht auf Prahlerei. »Ist es nicht merkwürdig, dass es mich gar nicht reizt, das Steuern eines Automobils zu lernen, Sepp?«, meinte sie während der Fahrt und betrachtete die vorbeiziehende Umgebung; ihre Linke spielte wieder mit der Silbermünze.
    »Vermutlich ist Ihnen das Automobil nicht schnell genug, Großmeisterin.« Der Fahrer brachte sie zum Hotel Palais Seinsheim, einem Luxusgebäude, das seinerzeit für den bayerischen Minister Graf Seinsheim errichtet worden war.
    Silena lachte. »Das könnte in der Tat so sein.« Sie betrachtete die Fassade im Stil des späten Rokoko. Dahinter verbargen sich Annehmlichkeiten, die es dem Hörensagen nach mit dem legendären Adlon in Berlin aufnahmen.
    Da es sich jedoch um ein altes Gebäude handelte, konnte die Moderne nur bedingt Einzug halten, fließendes Wasser und Elektrizität gab es ausschließlich in den exklusiven Suiten – wie sich Silena eine genommen hatte.
    Die Drachentöterin erlaubte sich dieses Privileg gelegentlich und sah es als Ausgleich zum harten Leben im Fliegenden Zirkus, mit dem sie oft genug im Einsatz war oder zu Übungsflügen durch die Lande reiste, im Feldbett schlief und ein warmes Bad vermisste. Das Officium bezahlte ihre Unterkunft ohne Murren, zumal ihre anfallenden Kosten im Vergleich zu anderen im Officium als gering zu bezeichnen waren. Von Großmeister Loyo existierte eine Restaurantrechnung über eintausendvierhundertelf Mark und sieben Pfennige, die er an einem einzigen Abend verprasst hatte.
    Der Phänomen hielt an, ein Hotelangestellter sprang herbei, um ihr die Tür aufzuhalten, und sie stieg aus.
    »Holen Sie mich morgen früh ab, Sepp«, wies sie den Fahrer an und gab ihm eine Mark Trinkgeld. »Ich möchte, dass die Saint um neun Uhr startbereit ist.« Dann stieg sie die zwei Stufen hinauf und trat durch die Tür in das Foyer.
    Sie hielt sich nicht lange auf, sondern begab sich auf der Stelle in ihre Suite und ließ sich ein Bad ein. Das warme Wasser plätscherte in die Wanne, Silena gab von ihrem eigenen Badeöl hinein, und der Geruch von Honig und Kräutern stieg mit dem heißen Dampf auf, der die Spiegel zum Beschlagen brachte.
    Die harte Schale fiel von ihr ab und landete auf dem Fliesenboden, das Samtene darunter kam zum Vorschein und wurde sorgfältig auf dem kleinen Stuhl abgelegt; liebevoll entfernte sie die dunkelroten Strumpfbänder, danach die Strümpfe. Dann drehte sie den Hahn zu.
    Silena goss sich ein Glas Johannisbeersaft ein und stellte es neben die Wanne, und als sich die Schellackscheibe mit den Yale Whiffenpoofs drehte und sie die beruhigenden Stimmen vernahm, begab sie sich in das Wasser und tauchte bis zum Kinn darin ein. Durch den Pagenschnitt wurden keine Haare nass, sie musste sich keinerlei Sorgen um ihre Frisur machen. Mit ein Grund, weswegen sie diesen Schnitt wählte.
    Sie nahm den Korallenschwamm, tränkte ihn und rieb sich damit langsam über das Gesicht, über den Hals, das Dekolleté. Silena schloss die Augen. »Einen netten Mann«, wiederholte sie murmelnd die Worte des Erzbischofs. Die Antwort, woher sie ihn nehmen sollte, war er ihr schuldig geblieben. Bislang hatte sie drei Männer in ihrem Leben kennen gelernt, und keiner von ihnen hatte sich auf Dauer als ›nett‹ herausgestellt. Es hatte ihr genügt, um Erfahrungen zu sammeln, und die Lust an der Liebe geweckt, mehr war jedoch nicht daraus geworden. Manchmal benahm sie sich eben nicht wie die Nachfahrin eines Heiligen.
    Sie hielt den Arm mit dem Schwamm nach oben, presste das Wasser heraus und ließ es auf ihr Gesicht prasseln.
    Wer weiß schon, wie sich die alten Heiligen benommen haben? Silena grinste. Es hätte sich bestimmt nicht gut gemacht, wenn ein Heiliger nicht ganz so vollkommen gewesen wäre, wie ihn die Kirche haben wollte. Sie selbst war eine Vertreterin der schwierigen Fraktion und sehr zufrieden damit.
    Das war schon so in der Ausbildung gewesen. Mit zwölf Jahren und dem Erreichen des Adeptenstatus hatte sie sich geweigert, ihren Platz in der Schlange vor der Essensausgabe im Internat des Officiums einem älteren Adepten zu überlassen, wie es allgemein üblich war.

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