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Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Döhring
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den Namen des Arztes, der im
Moment dort Dienst verrichtete. Als er auf der Station ankam, sah er seine
Mutter auf einem Stuhl in einer Art Warteraum sitzen und fühlte einen Stich. Es
musste alles wahnsinnig schnell gegangen sein, denn so hatte er sie noch nicht
gesehen. Sie ging niemals aus dem Haus, ohne perfekt gestylt zu sein, aber das
war ihr gründlich misslungen. Ihre sonst so sorgsam frisierten Haare lagen
platt um ihren Kopf herum und ihre Bluse, die sie über einer dunklen Hose trug,
sah aus, als ob sie darin geschlafen hatte.   
    „Mama“, rief er.
    Sie blickte auf und er blickte in
ihr tränenüberströmtes Gesicht. „Timo, mein Gott .“
    In Nullkommanichts war er bei ihr
und legte ihr den Arm um die Schultern. Sie lehnte sich an ihn und begann,
hemmungslos zu weinen. Er wartete einen Augenblick, bis sie sich etwas beruhigt
hatte.
    „Was ist passiert?“
    Seine Mutter richtete sich auf und
schnaubte sich die Nase mit einem Taschentuch, das sie aus ihrer Handtasche
genommen hatte.    
    „Ich weiß auch nicht genau, aber ich
glaube, Papa hatte einen Herzinfarkt. Wir wollten gerade ins Bett gehen, da
klagte er plötzlich über Schmerzen in der Brust und der linke Arm wurde taub.
Sind das nicht eindeutige Anzeichen dafür? Jedenfalls meine ich, das gelesen zu
haben. Ist ja auch egal. Ich hab sofort den Notarzt gerufen und der hat auch
gleich den Krankenwagen mitgebracht.“
    Sie brach erneut in Tränen aus.
Timo tätschelte ihr die Schulter. Es sollte sie beruhigen, obwohl er selbst
alles andere als ruhig war, denn was seine Mutter ihm da gerade erzählt hatte,
hörte sich ziemlich ernst an.
    „Und dann? Haben sie schon gesagt,
ob es ein Infarkt ist?“
    „Das ist es ja. Die sagen einem gar
nichts. Dein Vater hat das Bewusstsein verloren und alle im Wagen sind ganz
hektisch geworden, keine Ahnung, was die dann gemacht haben. Geredet haben sie
nicht mit mir, auch der Notarzt nicht. Das war vielleicht ein Idiot. Er hat
sofort versucht, mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Von wegen, da muss es
doch schon früher Anzeichen gegeben haben, dass das Herz nicht in Ordnung ist.
Als ob es unsere Schuld ist. Ich meine, ich kann doch auch nichts dafür, dass
er abends Dienst machen muss.“
    Er ließ sie reden. Sollte sie sich
ruhig Luft machen und über den Arzt schimpfen.
    „Wie lange bist du schon hier?“
    „Seit über einer Stunde.“
    „Was?! Und der Arzt hier hat noch
nichts über seinen Zustand gesagt?“
    „Der hat nur gesagt, ich soll mich
beruhigen. Sie tun ihr Bestes.“
    Kein Wunder, dass sie durch den
Wind war. Da saß sie wie auf Kohlen, weil ihr Mann eingeliefert wurde und
niemand sagte ihr, wie es um ihn stand. Er überlegte, ob er mal nach diesem Dr.
Schreiber sehen sollte, als die Tür zu dem Gang aufging. Er fiel fast vom
Stuhl, als er Luisa hereinkommen sah. Wenn ihr seine fassungslose Miene
auffiel, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Die hatte Nerven.
    „War gar nicht so leicht, euch zu
finden“, sagte sie.
    Seine Mutter hob den Kopf und sah
irritiert von einem zum anderen. Timo war mit der Situation komplett
überfordert, was bei Luisa nicht der Fall war. Sie streckte seiner Mutter die
Hand entgegen.
    „Ich bin Luisa Bartelt, Frau
Hansen, Timos Freundin.“
    Sichtlich überrascht nahm sie die
ihr dargebotene Hand. „Guten Abend.“
    „Und?“ wandte sich Luisa an Timo.
„Gibt es schon etwas Neues?“
    „Nein, wir warten noch auf den
Arzt.“
    Es war seine Mutter, die
antwortete. Timo war immer noch sprachlos. Er empfand es als irgendwie surreal,
wie Luisa sich die Szene zueigen gemacht hatte. Es schien beinahe, als ob sie
schon seit Jahren ein Mitglied der Familie war.  
    Eine Tür öffnete sich und ein Mann
in weißem Kittel kam auf sie zu. Timos Mutter sprang auf. „Dr. Schreiber, was
ist mit meinem Mann?“
    Er blieb vor ihr stehen. „Ihr Mann
hatte einen Schlaganfall. Die gesamte linke Seite ist betroffen. Deshalb konnte
er bei Ihnen zu Hause auch den linken Arm nicht mehr bewegen.“
    „Schlaganfall? Was heißt das? Ist
er gelähmt?“
    „Es ist noch zu früh, das mit
Sicherheit zu sagen. Momentan hat er kein Gefühl auf der linken Seite, aber das
kann auch nur vorübergehend sein. Wir müssen abwarten. Ein weiteres Problem
ist, dass auch das Sprachzentrum betroffen ist. Wie schwer, wird sich in den
nächsten Tagen zeigen.“
    „Ist er bei Bewusstsein?“
    „Im Augenblick ja. Aber wir haben
ihm ziemlich starke Medikamente gegeben. Es ist also mehr

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