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Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Döhring
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sie nicht entlastet war, aber sie
hatte getan, was sie konnte, um so überzeugend wie möglich zu sein. Was die beiden
glaubten oder nicht, darauf hatte sie keinen Einfluss. Sie ging an den
Kühlschrank in der zum Wohnzimmer offenen Küche und nahm sich eine kleine
Flasche Bitter Lemon. Sie öffnete sie mit einem Flaschenöffner und trank einen
Schluck. Kalt und bitter. Lecker. Sie hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt
wurde. Marius. Er war zurück und zu ihrem Glück erst jetzt.
    „Hallo“, sagte sie mit geheuchelter
Fröhlichkeit in der Stimme, als er ins Wohnzimmer trat.
    Marius sah mitgenommen aus, zehn
Jahre älter als sonst. Er war unrasiert und seine dunklen Haare standen wild
vom Kopf ab. Geduscht oder gar Haare gewaschen hatte er bestimmt nicht. Er
hatte tiefe Ränder unter den Augen, die zudem leicht gerötet waren. Hatte er
geweint? Die Falten von der Nase zum Mund, die sie so an ihm liebte, wirkten
heute wie eine tiefe Furche. Er trug dieselben Klamotten wie am Tag zuvor und
es sah aus, als hätte er in ihnen genächtigt. Das blaue Hemd war zerknüllt und
hing halb aus der Jeans. Und das bei ihm, der immer penibel auf sein
Erscheinungsbild achtete. Ihr Herz verkrampfte sich, als sie ihn so vor sich
sah. Nichts hätte sie lieber getan, als ihn in ihre Arme zu schließen, um ihm
zu sagen, dass sie da war und alles gut werden würde, aber sie wusste, dass er
es nicht zulassen würde. Und Zurückweisung war etwas, das sie momentan nur
schwer ertragen konnte.
    Er ließ ihren Gruß unerwidert und
ging schnurstracks an ihr vorbei zum Kühlschrank, um sich ein Jever
herauszunehmen. Er nahm den Öffner, den sie auf die Arbeitsplatte gelegt hatte,
entfernte den Flaschendeckel und trank die Flasche mit einem Zug halb leer.
    „Wow“, sagte sie mit einem Blick
auf die Uhr über dem Herd. „Eine halbe Flasche Bier in Rekordgeschwindigkeit am
Freitagmorgen um zehn. Das nenn ich Durst.“
    „Halt die Klappe!“
    Sie zuckte zurück, als hätte er sie
ins Gesicht geschlagen. So etwas hatte er noch nie zu ihr gesagt. Es kam schon
vor, dass sie eine Auseinandersetzung hatten, aber das war immer in zivilisierter
Art abgelaufen. Sie hatten sich niemals beschimpft. Er hatte sich noch nie im
Ton vergriffen wie eben. Dabei hatte sie doch nur die Stimmung etwas entkrampfen
wollen.
    „Entschuldige bitte“, sagte sie mit
einem Zittern in der Stimme, das ihre Verletztheit zum Ausdruck brachte. „Was
hast du da eben gesagt?“
    Er wischte ihre Frage mit einer
Handbewegung weg.   
    „Marius, was ist los?“
    „Das fragst du mich im Ernst?“
Seine dunklen Augen sprühten Funken.
    Sie starrte ihn an. So wütend hatte
sie ihn noch nie erlebt. Was war in ihn gefahren? Hatte Sinas Tod ihn so fertig
gemacht, dass er den ganzen Zorn und die Trauer auf ihr abladen wollte?
    „Marius, ich weiß, dass das alles
schwer für dich ist, aber ich kann doch nichts dafür.“
    Er kniff die Augen zusammen, setzte
die Flasche erneut an und leerte den Rest. Dann öffnete er den Kühlschrank und
nahm sich ein zweites Bier.
    „Super! Dann besauf dich. Ist
bestimmt besser, als mit mir zu reden.“
    Er öffnete die Flasche und nahm
einen Schluck. „Du hattest Besuch.“
    Es war mehr eine Feststellung denn
eine Frage. „Woher weißt du das?“
    „Ich hab sie kommen sehen.“
    Und er hatte gewartet, bis sie
wieder weg waren? „Warum bist du dann nicht rein gekommen?“ Nicht, dass sie das
gestört hatte.
    „Ich dachte, es wäre besser so.“
    Er sah sie mit solch einem kalten
Ausdruck in den Augen an, dass ihr Angst und Bange wurde. „Wieso?“
    „Weil mir sonst vielleicht etwas
rausgerutscht wäre.“     
    Er sprach in Rätseln. „Ich versteh
dich nicht.“
    Er stellte sein Bier ab. „Nein?
Dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen.“
    Er verließ die Küche und ging in
den Flur. Es hörte sich an, als ob er in seiner Jacke nach etwas suchte und
nach ein paar Sekunden war er wieder da. Er hielt ein schwarzes Etui aus Leder
in seiner Hand und ihr wurde schlecht.
    „Soll ich es aufmachen?“
    Das war nicht nötig. Sie wusste,
was darin war. Sie brachte keinen Ton heraus und schüttelte nur stumm den Kopf.
    „Das dachte ich mir.“ Seine Stimme
war so kalt wie Eis. „Ich weiß nicht, ob ich mich bei der Polizei hätte
zurückhalten können.“
    Wahrscheinlich nicht, so wütend wie
er war.
    „Ich frag mich nur, warum du dir
kein besseres Versteck ausgedacht hast, als in dem kaputten Sofapolster. Es
sieht ja fast so

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