Die Mädchen (German Edition)
reicht. Aber ich kann Sie beruhigen.
Es wird reichen.“
Judith Keller stellte ihren
benutzten Teller in die Geschirrspülmaschine und sah aus dem Fenster. Der
Himmel hatte sich ziemlich zugezogen, nichts war mehr geblieben von dem
herrlichen Blau am Morgen und irgendwie gab das auch die Stimmung wieder, in
der sie sich im Moment befand. Sicher, sie hatte sich innerlich schon lange von
Bent verabschiedet, aber es war ja auch weniger die Einsicht, dass ihre
Beziehung zu Ende war, als was er ihr angetan hatte. Er hatte sie benutzt, um
sich an ihre kleine Schwester heranzumachen und sie hoffte, dass er dafür in
der Hölle schmoren würde. Sie bereute nicht, der Polizei die Wahrheit über den
Nachmittag gesagt zu haben. Sollten sie ihn nur richtig in die Mangel nehmen.
Wahrscheinlich waren sie jetzt gerade dabei und diesen Vollidioten Pinky
konnten sie auch gleich fertig machen. Dass der ihre Schwester zufällig
gefunden haben sollte, war ja wohl kaum möglich. Was immer die zusammen
ausgeheckt hatten, sie war davon überzeugt, es war nichts Gutes und sie hatten
jede Strafe verdient.
„Sind sie weg?“
Judith zuckte zusammen, als sie die
Stimme ihrer Mutter hinter sich vernahm. Sie drehte sich zu ihr herum. „Mein
Gott, hast du mich erschreckt.“
Zu ihrer Überraschung war ihre
Mutter vollständig angezogen und sogar zurechtgemacht. Das erste Mal seitdem
sie aus der Gerichtsmedizin zurückgekommen war. Sie wirkte gefasst, als sie auf
sie zu kam und an den Schrank ging, in dem sie den Kaffee aufbewahrten. Sie
nahm die Kaffeedose heraus.
„Möchtest du auch?“
Judith schüttelte den Kopf. Sie
hatte an diesem Tag schon fast eine ganze Kanne allein getrunken und ihren
Bedarf damit komplett gedeckt. Sie beobachtete ihre Mutter dabei, wie sie den
Kaffee aufsetzte. Es hatte etwas Beruhigendes, vielleicht weil es so mechanisch
wirkte, so alltäglich.
„Was haben sie von dir gewollt?“
Judith klärte ihre Mutter über Bent
und ihre Schwester auf.
„Das ist nicht dein Ernst.“ Ihre
Mutter machte große Augen. „Bent und Sina? Und dir ist nichts aufgefallen?“
Judith dachte an den Zusammenstoß
mit ihrer Schwester zurück, einen Tag, bevor sie ermordet worden war. War das
wirklich erst fünf Tage her? Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.
Sie hatte die beiden zufällig
gesehen, als Bent Sina zwei Straßen weiter von seinem Motorrad absetzte. Wenn
sie nicht gerade in dem Moment bei ihrer Freundin aus dem Fenster gesehen hätte,
hätte sie gar nichts bemerkt. Aber so war ihr fast das Herz stehen geblieben.
Ihr war schon früher aufgefallen, dass Sina Bent mit ihren Blicken auffraß,
aber sie hatte bisher immer gedacht, dass er in ihr nichts als ein kleines
Mädchen sah, zumindest hatte er das immer mit einem Lachen behauptet, wenn sie
die Sprache darauf gebracht hatte. Wo, zum Teufel, kam er mit ihr her? Und
warum brachte er sie nicht bis ganz nach Hause? Die Antwort drängte sich ihr
förmlich auf. Damit sie nichts davon mitbekam. Die beiden hatten ein Geheimnis
miteinander und Judith wurde schlecht, wenn sie darüber nachdachte, was
dahinterstecken konnte.
Sie hatte sich hastig von ihrer
überraschten Freundin verabschiedet und war nach Hause geeilt. In den fünf
Minuten, die sie bis dorthin brauchte, hatte sie sich ausgemalt, wie sie ihrer
Schwester gegenüber treten sollte, und war zu keinem Schluss gekommen. Sollte
sie ihr sagen, dass sie sie gesehen hatte? Oder sollte sie versuchen, auf
Umwegen herauszufinden, was sie den Nachmittag getrieben hatte? Sie war so
wütend, dass sie ihr am liebsten sofort die Augen aus dem Gesicht gekratzt
hätte.
Als sie die Tür aufriss, war klar,
dass sie sich hinten anstellen musste. Sina und Birthe standen sich in der
Diele gegenüber, beide mit hochrotem Kopf, und schrieen sich an.
„Du hast mir gar nichts zu sagen“,
warf Sina ihrer Tante an den Kopf.
„Das denkst du aber auch nur“, gab
die in derselben Lautstärke zurück und ihre Stimme überschlug sich dabei
beinahe. „Mach ruhig so weiter. Wenn ich deinen Eltern erzähle, was ich gefunden
habe, werden die andere Seiten aufziehen, davon kannst du ausgehen. Dann ist es
vorbei mit deiner Freiheit.“
„Du blöde Kuh. Was hast du
überhaupt in meinem Zimmer zu suchen?“
„Ich glaub nicht, dass das noch
jemanden interessiert, wenn die erst wissen, was du so alles treibst.“
„Und ich werde dafür sorgen, dass
Papa dir den Geldhahn zudreht.“
„Kann mir mal jemand sagen,
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