Die Mädchen (German Edition)
davon
aus, dass sie das tut, weil sie uns
nicht belasten möchte. Und gerade das belastet sie wiederum noch mehr.“
„Das klingt nach einem ziemlichen
Teufelskreislauf.“
„Das finde ich auch. Ich frag mich
nur, ob der Therapeut zum gleichen Ergebnis gekommen ist und ihr die
Schuldgefühle nimmt, die sie uns gegenüber hat.“
„Hat sie die denn?“
Funke seufzte. „Hat sie mir selbst
gegenüber eingeräumt. Ich hab ihr zu verstehen gegeben, dass das Quatsch ist.
Aber ich denke, wir können ihr das tausendmal sagen, das ändert nichts. Sie
muss irgendwie von selbst darauf kommen und wir hoffen, dass der Therapeut ihr
dabei hilft, das zu erkennen.“
Das Navigationssystem zeigte an,
dass sie sich links Richtung Hauptbahnhof einordnen mussten. Das Unternehmen,
in dem Almut Keller arbeitete, befand sich am Elbufer im Stadtteil Altona und
sie hatten noch gut zehn Minuten Fahrzeit vor sich.
„Und eure anderen beiden Kinder?“
Funke zuckte die Achseln. „Kevin
ist die meiste Zeit unterwegs. Keine Ahnung, ob er eine Freundin hat oder
nicht. Seit der letzten Beziehung ist er ziemlich reserviert, was das betrifft.
Aber vielleicht ist das auch normal. Helen ist die einzige, die das alles kalt
lässt. Liegt vielleicht an ihrem Alter. Jedenfalls hat sie sich so begeistert
auf die Musik gestürzt, dass es schon fast beängstigend ist. Meine Mutter
meint, sie ist richtig gut auf dem Klavier, aber da warten wir erst mal ab, wie
das dann ab kommenden Sommer wird, wenn sie aufs Johanneum geht. Wird ne
ziemliche Umstellung für sie werden, auf einmal mit dem Bus zur Schule zu
müssen und nicht mehr zu Fuß gehen zu können. Sie muss dadurch natürlich auch
viel früher los als vorher.“
„Ist Kevin eigentlich noch mit
Torben befreundet?“
Behrend frage das beiläufig, aber
Funke wusste, dass ihn die Frage beschäftigte. „Ich hab ihn länger nicht
gesehen. Soweit ich weiß, ist er nach Hamburg gezogen.“
Behrend nickte. „Das hab ich mir
gedacht.“
„Kevin hat am Wochenende mit ihm
gefeiert.“
„Hat er das?“
Es klang gleichgültig, aber Funke
wusste nicht, was er davon halten sollte. „Es geht mich ja nichts an und du
brauchst mir auch nicht zu antworten, wenn du nicht willst, aber warum seid ihr
nicht mehr zusammen?“
„Wir hatten sehr unterschiedliche
Auffassungen, wie eine Beziehung aussieht.“
„Aber er interessiert dich immer
noch.“
„Das schon. Aber nur, wie man sich
halt für Leute interessiert, mit denen man mal befreundet war.“
Ja, klar. „Ich muss dir übrigens
etwas gestehen.“
Behrend sah verwundert zu ihm
hinüber. „Ja?“
„Ich hab am Wochenende eine kleine
Dummheit gemacht.“ Er erzählte von dem Gespräch, das er mit Kevin geführt
hatte. „Ich hoffe, ich hab dich damit nicht in eine komische Situation gebracht.
Ich hab Kevin zwar später unter vier Augen noch mal gesagt, dass du dich mir
gegenüber überhaupt nicht geäußert hast, aber ich weiß nicht, ob er mir
geglaubt hat.“
„Ist schon gut. Das Thema ist
wirklich abgehakt.“ Er deutete seinen zweifelnden Blick richtig. „Nein,
ehrlich. Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich jemanden kennen gelernt habe,
und dieses Mal hab ich das Gefühl, es ist was Ernstes.“
„Stimmt, das hast du gesagt. Aber
mehr auch nicht.“
Behrend zögerte einen Moment. „Wenn
ich da leise Kritik höre…“
„Nein, nein“, beeilte Funke sich zu
versichern. „Du musst mir nichts erzählen, wenn du nicht willst.“
Behrend seufzte. „Also schön. Ich
hab dir nichts erzählt, weil ich nicht wusste, wie du darauf reagieren
würdest.“
„Auf deinen Freund?“ Funke war
verwirrt. „Wieso? Kenne ich ihn?“
„Ihn nicht, aber seinen Bruder.“
„Seinen Bruder?“
„Ich bin mit Philipp König
zusammen, Michael Königs Bruder.“
Bilder von Vicky, eingesperrt in
einem Keller, überfluteten sein Gehirn. Er konnte nichts dagegen tun.
Gleichzeitig hatte er Michael König vor Augen, in dessen Miene sich keinerlei
Mitgefühl widerspiegelte.
„Ach so“, sagte er nur.
„Ja. Ich hab gewusst, dass dir das
nicht gefallen wird. Deshalb hab ich mich zurückgehalten.“
Hätte er das doch nur weiterhin
getan. „Ist okay.“
„Bitte Holger. Es tut mir leid,
aber Philipp hatte mit dem Ganzen ja nichts zu tun. Und er ist wirklich in
Ordnung.“
„Schön für dich. Können wir jetzt
bitte das Thema wechseln?“
Sie redeten gar nicht mehr
miteinander während der Rest der Fahrt und hingen beide ihren Gedanken
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