Die Mädchen (German Edition)
niemanden in Lübeck.“
„War es ein Mann oder eine Frau?“
„Eine Frau.“
„Wie hat sie ausgesehen? Mensch,
nun lassen Sie sich doch nicht alles wie Würmer aus der Nase ziehen.“
Waldow seufzte. „Okay. Sie war
relativ groß, schlank, keine dreißig, würde ich sagen, und sie hatte rotes
Haar.“
„Hallo?“
Die Frau stand jetzt direkt vor
ihr. Merle hielt den Atem an, um sich nicht zu verraten. Sie konnte sehen, dass
die Frau barfuß in ihren Schuhen steckte. Mutig, um diese Jahreszeit. Gott, wie
bescheuert war sie denn? Worüber sie sich Gedanken machte, war ja wohl
unglaublich. Als hätte sie keine anderen Sorgen. Wenn diese Frau, seine Frau, sie hier entdeckte, war alles aus, und nicht nur für sie, sondern vor
allem für ihn. Nicht nur seine Ehe wäre beendet, wahrscheinlich wäre er auch
beruflich erledigt. Im Moment war das für sie natürlich nur sekundär. Zunächst
ging es darum, die eigene Haut zu retten. Wer wusste , denn, wie die Alte
drauf war? Womöglich verpasste sie ihr ein paar Ohrfeigen oder prügelte sie
richtig durch. Sie hatte schließlich schon häufig im Fernsehen gesehen, wozu
Frauen aus Eifersucht alles fähig waren.
Die Frau ging um das Sofa herum.
Merle biss die Zähne zusammen. Jetzt musste sie eigentlich die Dose auf dem
Tisch sehen. Sie traute sich nicht, den Kopf in ihre Richtung zu drehen, aus
Angst, dass sie die Bewegung mitbekam. Somit musste sie sich auf ihre Ohren
verlassen.
„Du hast deine Cola vergessen“,
hörte sie sie rufen.
Die Stimme war so nah, dass sie vor
Schreck zusammenzuckte.
„Ich weiß, dass du hier irgendwo in
der Wohnung bist.“
Woher? Hatte er ihr gesagt, dass er
sich hier mit ihr traf? Das konnte ja wohl nicht sein. So dumm war er ja wohl
nicht. Vor allem hätte er sie doch niemals in die Situation gebracht, dass sie
mit seiner Frau allein war. Wie hatte sie es also herausbekommen? Hatte sie ihm
hinterher geschnüffelt? Ging sie einfach davon aus, dass er sich nur hier mit
einer Freundin treffen würde?
„Wenn du denkst, dass er dich
gleich erlösen wird, hast du dich geschnitten. Er weiß gar nicht, dass du hier
auf ihn wartest.“
Was? Ihr Herz klopfte noch stärker,
wenn das überhaupt noch möglich war. Er hatte ihr doch geschrieben, dass er
gleich kommen würde. Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
Natürlich. Die Mails waren von ihr gekommen und nicht von ihm. Und sie selbst
hatte sie direkt zu ihr geführt. Scheiße! Was jetzt?!
Jacqueline Tarnat wurde an diesem
Tag ausnahmsweise von ihrer Mutter im Auto von der Schule abgeholt. Ihre Mutter
hatte einen freien Nachmittag und sie wollten nach Bad Segeberg zu Möbel Kraft
fahren, um nach einem neuen Bett für Jacqueline zu suchen. Sie fand ihr altes
Bett langweilig und passend für eine Zehnjährige und wollte jetzt endlich etwas
Moderneres. Nach längeren Diskussionen hatte ihre Mutter schließlich
eingewilligt, wenn das Budget allerdings auch begrenzt war, aber das war ihr
egal, solange es nur etwas anderes war, als das Kleinkindding, das jetzt in
ihrem Zimmer stand.
Sie stieg in den Wagen, warf ihre
Tasche auf den Rücksitz und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. „Hallo.“
„Hallo, mein Schatz. Wie war’s?“
Sie schnallte sich an und zuckte
mit den Achseln. „Nichts Besonderes.“
Ihre Mutter lenkte den Wagen
vorsichtig neben den radfahrenden Schülern vorbei. „War Merle auch da?“
Jacqueline schnaubte. „Hör mir bloß
auf mit der.“
„Wieso? Habt ihr euch wieder
gestritten?“
Jackie dachte daran, wie Merle sie
beleidigt hatte und wie sauer sie ausgesehen hatte, als Rouven sich mit ihr
verabredet hatte. „Nein, das nicht. Ist ja auch egal. Ich kann sie einfach
nicht mehr sehen.“
Und dabei hatte sie sie jahrelang für
ihre beste Freundin gehalten. Den Zahn hatte Merle ihr ja nun gezogen. Diese
Freundschaft, wenn es denn je eine war, war ein für allemal zu Ende. Und
vielleicht war das ja auch ganz gut so. Wenn sie daran dachte, was Merle da in
diesem Zimmer alles vor der Kamera gemacht hatte, konnte sie eigentlich nur
froh sein, dass sie nichts mehr mit ihr zu tun hatte. Wer wusste, was da noch
alles kommen würde?
Ihre Mutter bog links in die
Kanalstraße ab. „Und Frau Sonntag?“
„Was soll mit ihr sein?“
„Hat sie sich noch nicht geäußert?“
„Du meinst wegen der Sechs?“
Ihre Mutter stöhnte auf. „Meine
Güte, Jackie, weswegen wohl sonst.“
„Nein. Und ich glaube auch nicht,
dass sie
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