Die Mädchen (German Edition)
kann, ist sie bei ihrer Schwester aufgewachsen,
weil ihre Eltern tot waren. Aber wie die hieß, weiß ich nicht mehr. Ich meine,
ihr Schwager war Zahnarzt.“
Merle hatte es sich auf dem Sofa in
der Wohnung gemütlich gemacht. Sie wusste, dass ihr Vater wütend sein würde,
wenn sie nicht zu Hause war, wie er es von ihr verlangt hatte, aber das war ihr
egal. Sollte er doch ruhig einen Tobsuchtsanfall bekommen, der Arsch. Er hatte
es ja nicht besser verdient. Wenn er nur einmal ein bisschen Verständnis für
sie gezeigt hätte, aber nein, es musste ja genau so laufen, wie er es wollte.
Da hatte er sich jedenfalls gründlich verrechnet. Der blöden Marquardt konnte
man immer weismachen, dass einem schlecht war, wieso manche Lehrer nie etwas
merkten, würde für sie immer ein Rätsel bleiben. Also war sie kurzerhand nach
der vierten Stunde aus der Schule abgehauen, in den nächsten Bus gestiegen und
schnurstracks hierher gefahren.
Während der Fahrt hatten sie einen
SMS-Wechsel, der sie etwas beruhigt hatte.
Hab es in der Schule nicht mehr ausgehalten. Bin
früher weg. Warte auf dich in der Wohnung. Muss unbedingt mit dir sprechen.
Komm bitte so schnell wie möglich.
Es klang dringend,
verriet aber nicht zu viel.
In
Ordnung. Wann bist du da?
Die Antwort kam schneller, als sie
gedacht hätte.
In etwa einer halben Stunde. Komm
bitte schnell. Ich vermisse dich.
Sie wusste, dass sie ihn mit
solchen Andeutungen immer rumkriegen konnte.
Ich dich auch. Ich mach, so schnell ich kann.
Versprochen. Aber bitte bleib dort und warte auf mich.
Süß. Wahrscheinlich hatte er Panik,
dass sie mal wieder einen Rückzieher machen würde. Da konnte er unbesorgt sein.
Dieses Mal würde sie auf ihn warten. Aber ob ihm gefallen würde, was sie ihm zu
sagen hatte, war eher fraglich. Na, sie würde es schon gekonnt verpacken.
Darauf kannst du dich verlassen. Ich bin schon
ganz feucht.
Sie grinste in sich hinein, als sie
auf Senden drückte. Lange musste sie bestimmt nicht auf ihn warten.
Sie sah auf die Uhr und verzog das
Gesicht. Er hätte sich ruhig ein bisschen beeilen können, fand sie. Schließlich
hatte sie ihm doch ordentlich den Mund wässerig gemacht. Jetzt war sie schon
über eine halbe Stunde hier und von ihm keine Spur. Sie spürte ihren Magen
knurren und sprang hoch. Vielleicht hatte er etwas im Kühlschrank oder eine
Dose Ravioli, die sie sich warm machen konnte. Sie öffnete die Tür zum
Kühlschrank und warf einen Blick hinein. Fehlanzeige. Enttäuscht blies sie Luft
durch die Lippen. Da war ja gar nichts drin außer ein paar Dosen Bier und Cola.
Sie riss das Kühlfach auf. Na ja, zumindest eine Pizza lag darin. Sie nahm sie
raus. Hawaii. Nicht gerade ihre Lieblingspizza, aber der Hunger würde sie schon
reintreiben. Sie stellte den Herd an, um ihn vorzuwärmen und nahm sich
anschließend eine Dose Cola mit zum Sofa.
Sie schaltete den Fernseher ein und
knipste sich durch die Programme, während sie an ihrer Cola nippte. Was da für
ein Mist lief um diese Zeit. Auswanderer, die wieder nach Deutschland zurückkamen,
weil sie sich in Asien nicht zurechtgefunden hatten. Na, vielleicht hätten sie
vorher mal dort Urlaub machen sollen. Pseudonachrichten mit tollen
VIP-Geschichten und die x-te Wiederholung von den Gilmore Girls waren auch
nicht besser. Sie ließ MTV an, wo irgendein drittklassiger Musiker von früher,
den keine Sau kannte, sich unter zwanzig Bräuten eine aussuchen durfte, und
ging in die Küche, um die Pizza in den Ofen zu schieben.
Als sie die Herdklappe zuschob,
hörte sie einen Wagen vorfahren. Na endlich. Sie eilte zum Fenster und wurde
enttäuscht. Er war es nicht. Eine junge Frau stieg aus einem Golf, der direkt
vor der Tür geparkt worden war und warf die Tür ins Schloss. Merle duckte sich,
als die Frau ihren Kopf hob und nach oben in ihre Richtung sah. Das fehlte auch
noch, dass sie hier jemand sah, dem vielleicht auch eine Wohnung gehörte. Sie
war auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer und traute ihren Augen kaum. Da zeichnete
sich doch ein Umriss an der Haustür ab. Ihr Herz begann zu rasen, denn
instinktiv spürte sie, dass sie in großen Schwierigkeiten steckte, noch bevor
sie vernahm, wie der Schlüssel von außen in die Tür gesteckt wurde. Wie eine
Irre raste sie zurück in die Küche, um den Herd auszudrehen und dann wieder ins
Wohnzimmer. Dort schaltete sie den Fernseher aus, griff nach ihrer Tasche und
kroch unter das Sofa.
Es war keine Sekunde zu früh. Mit klopfendem
Herzen sah
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