Die Mädchen (German Edition)
Meinung, dass er sie schon
lange mit seiner neuen Freundin betrogen hatte, während ihr Vater ihr vorwarf,
mit ihrem Chef ins Bett zu gehen. Judith hatte keine Ahnung, ob die Anschuldigungen
stimmten, und es war ihr auch egal. Jedenfalls ging es seit dem Tag, der
tatsächlich den offiziellen Auszug ihres Vaters markierte, nur noch darum, wie
sie sich gegenseitig eins reinwürgen konnten. Es war furchtbar. Sina verstand
das noch nicht, aber Judith sah sich immer häufiger als Spielball zwischen
ihnen. Die Frage danach, wer welches Kind wann hatte, spielte dabei eine
zentrale Rolle und die Streitereien wurden auf ihrem Rücken ausgetragen, ohne
darauf zu achten, was sie vielleicht wollten. Ein weiterer Faktor war natürlich
das Geld, wer bekam wie viel von wem und sollte Unterhalt gezahlt werden. Es
war schrecklich und es interessierte Judith überhaupt nicht. Wie sie und Sina
mit der Situation fertig wurden, verkam zur Nebensache. Ihre Mutter arbeitete
wie eine Besengte und hatte dafür wirklich keine Zeit und wenn sie mal bei
ihrem Vater waren, tauchte da nach kurzer Zeit seine Freundin auf und sie und
ihre Schwester waren abgemeldet. Weder gute noch besonders schlechte Leistungen
in der Schule weckten größeres Interesse, sie hatte beides ausprobiert. Spät nach
Hause zu kommen, brachte auch nichts, weil ihre Mutter oft sowieso noch später
war. Also blieb ihr nichts anderes, als Bent so lange wie möglich zu behalten,
damit ihre Eltern überhaupt registrierten, dass es sie gab.
Für Sina war es noch schlimmer, eben
weil sie ja noch zwei Jahre jünger war. Judith war davon überzeugt, dass sie im
Stillen immer noch hoffte, dass ihre Eltern wieder zusammenfanden, während sie
mittlerweile akzeptiert hatte, dass es für alle Beteiligten besser war, dass
sie getrennt blieben. Ihre Schwester vermisste das Familienleben und wollte
einfach nicht verstehen, dass das alles der Vergangenheit angehörte und rebellierte
deshalb ziemlich. Wenn sie Birthe, die jüngere Schwester ihrer Mutter, nicht gehabt
hätten, die immer wieder nach ihnen sah und so was wie eine Ersatzmutter für
Sina geworden war, Judith hätte nicht gewusst, wie sich das entwickelt hätte.
Birthe war toll. Sie hatte sich nach der Trennung ihrer Eltern
sofort angeboten, für sie zu kochen, damit ihre Mutter weiter arbeiten konnte.
Für sie war das ganz gut zu bewerkstelligen, weil sie nur Teilzeit in einem
Call-Center arbeitete. Sie half auch bei den Hausaufgaben, soweit es ihre
Möglichkeiten zuließen, und sie hörte ihnen zu. Somit hatten sie zumindest eine
Bezugsperson und da sie nur zehn Jahre älter war als Judith, war sie für sie
tatsächlich so etwas wie eine Freundin geworden, obwohl sie sie immer links
liegen gelassen hatte, als sie noch jünger war. Vielleicht lag es daran, dass
Birthe eben reifer geworden war, vielleicht auch daran, dass sie selbst bei
ihrer großen Schwester aufgewachsen war und eine ähnliche Phase wie sie durchgemacht
hatte, jedenfalls verstand sie es blendend, sich in sie hineinzuversetzen.
Birthe teilte zwar die Meinung ihrer Eltern, was Bent betraf, aber sie hielt
sich mit Kommentaren zurück, weil sie die Ansicht vertrat, jeder müsste seine
eigenen Fehler machen.
Doch so sehr Birthe sich auch
bemühte, sie konnte nicht verhindern, dass Sina im vergangenen halben Jahr eine
eigene Methode entwickelt hatte, auf sich aufmerksam zu machen. Sie hatte begonnen,
sich aufreizend zu kleiden, was nicht nur ihren Eltern übel aufstieß.
Zugegeben, Judith selbst sah mit ihren sechzehn Jahren auch nicht immer wie ein
Schulmädchen aus und es war durchaus wahrscheinlich, dass Sina sich einiges bei
ihr abgeguckt hatte, aber sie übertrieb maßlos. Aufreizend traf es nicht im
Entferntesten. Wie eine Nutte passte da schon eher. Besonders ihrem Vater war
das alles ein Dorn im Auge. Judith wusste, dass er sich daraufhin sowohl mit
ihrer Mutter als auch mit Birthe auseinandergesetzt hatte, um zu beratschlagen,
was zu tun war, doch bislang war das ohne Erfolg geblieben.
Birthe hatte ihr davon erzählt und
sie war noch immer aufgebracht, wenn sie an das Gespräch mit ihrem Vater
zurückdachte. Ständig schüttelte sie ihre feuerrote Mähne, um ihre Fassungslosigkeit
zu untermalen.
„Da ruft mich dein Vater an und
schreit mich am Telefon zusammen, was mir einfällt, seine Tochter so rumlaufen
zu lassen.“
„Als ob du was dafür kannst.“
„Eben. Das hab ich ihm auch gesagt.
Ich hab ihm gesagt, dass mir das auch nicht gefällt, aber
Weitere Kostenlose Bücher