Die Mädchenakademie
Stanley Butcher zu konzentrieren, einem jungen Lehrer mit äußerst akkuratem Seitenscheitel, dessen Vorliebe für Karos unübersehbar war. Außerdem schweiften ihre Gedanken immer wieder zu der letzten Nacht ab. Am Morgen hatte sie beim Frühstück den Mädchen kaum in die Augen sehen können. Megan, Holly, Lauren und Charlotte dagegen hatten sich ganz natürlich verhalten, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen. Doch für Emma hatte sich etwas verändert.
Ihr Kokon war aufgebrochen.
Noch wusste sie nicht mit der neu gewonnenen Freiheit umzugehen, aber Charlie nahm sie unter ihre Fittiche und verbot ihr spielerisch Unterwäsche am ersten Tag ihrer Clubzugehörigkeit zu tragen. Emma fügte sich und fühlte sich beschwingt.
Nach dem Unterricht am Nachmittag gingen Lauren, Megan und Holly ihren Interessen nach, während Emma mit Charlie einen Spaziergang zum See machte.
»Hast du dich auch erschreckt, als Butcher den Zeigestab auf Megans Tisch geknallt hat, weil sie verträumt aus dem Fenster schaute?« Charlie steuerte zu Emmas Erstaunen nicht den Steg an, sondern schritt zielsicher links am Bootshaus vorbei. Wohin wollte sie?
»Hab ich.« Verwundert folgte Emma ihr auf dem Pfad, der um den See herumführte. »Zuerst dachte ich, er wollte ihr auf die Finger schlagen.«
Charlie zerrte sie vom Weg ab ins Gebüsch und lief querfeldein. »Ich glaube, er steht auf sie.«
»Bist du verrückt?«, schoss es aus Emma heraus. Sie wehrte einen Zweig ab, den Charlotte beiseitegebogen hatte und der nun zurückschnellte. »Der weiß doch mit Frauen gar nichts anzufangen.«
»Aber wenn sie ihn ranlassen würde, würde er nicht Nein sagen.«
Energisch wiegelte Emma ab. »Er steht doch sicherlich eher auf Frauen wie Holly, die weich und zärtlich sind und an deren Busen er sich anlehnen kann, während sie ihm liebevoll wie seine Mutter übers Haar streichelt. Megan ist ihm bestimmt zu taff.«
Vor ihnen tat sich eine kleine Bucht auf. Das Seeufer machte einen Schlenker und somit war ein natürliches Becken entstanden, das vom Steg aus kaum bis gar nicht einsehbar war. Emma kannte diese Stelle, hatte ihr aber nie Beachtung geschenkt.
»Megan ist gar nicht so hart, wie sie tut. Sie will nur nicht so werden wie ihre Mutter, die die Launen ihres Mannes erträgt, nur um dessen politische Karriere nicht zu gefährden«, verteidigte Charlotte sie und schob ihren Rock über die Hüften nach unten. Sie stieg aus ihren Schuhen, während sie ihre Bluse aufknöpfte und abstreifte. Dann zwinkerte sie Emma zu und sprang ins Wasser.
Emma konnte es nicht fassen! Schwimmen war verboten, und sie hatte sich immer daran gehalten, doch Verbote schienen für die Lolitas kein Hinderungsgrund zu sein. Konnte es sein, dass sie deshalb den Spaß hatten?
Auffordernd winkte Charlie ihr. »Worauf wartest du? Diese Schwüle können wir Briten einfach nicht verkraften.«
Aufgeregt spähte Emma zum Bootshaus hinüber. Ihr Blick glitt über das Ufer, doch sie sah weder den Direktor noch jemanden, der sie bei ihm verpfeifen konnte.
Was soll’s, dachte sie und zuckte mit den Schultern. Sie entkleidete sich, erstaunt, wie gelassen sie inzwischen mit ihrer Blöße vor Charlie umging, und ließ sich geräuschlos ins Wasser gleiten. Es war erfrischend und erregend, wie ihr nackter Körper vom kühlen Nass, das in jede Ritze eindrang, umspült wurde.
»Wer ist Megans Dad?« Leise schwamm Emma zu ihrer Freundin. »Kenne ich ihn?«
Charlie tauchte kurz unter, durchstieß die Wasseroberfläche wieder und strich ihre feuchten Haare zurück. »Joseph Abercrombie sitzt im House of Commons. Als Parlamentsabgeordneter ist er wohl immer Herr der Lage und genießt großes Ansehen, aber zu Hause verliert er oft die Kontrolle und tyrannisiert seine Familie, erzählt Megan. Ihre Mum spielt sein Verhalten herunter, sagt, er hätte halt viel um die Ohren und sei chronisch überlastet, deshalb müsste die Familie ihn unterstützen.«
»Aber dann ist er doch das Schwein und nicht Mrs. Abercrombie.«
»Megan meint, ihre Mutter wäre charakterlich schwach, und ich muss ihr da zustimmen.« Charlie beobachtete einen Fisch, der knapp unter der Oberfläche an ihr vorbeischwamm. »Allerdings zieht sie die falschen Konsequenzen, weil sie denkt, nur die Starken würden in dieser Welt überleben. Irgendwann wird sie noch enden wie ihr Dad.«
Emma war unsicher, ob sie diese Frage stellen sollte. Aber da sie das Gefühl hatte, mit Charlotte über alles reden zu können, sprach
Weitere Kostenlose Bücher