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Die Mädchenakademie

Die Mädchenakademie

Titel: Die Mädchenakademie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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Hirschen, Rehböcken und Keilern, aber auch ganze Füchse, Habichte und Käuze. Die Glasaugen der armen Geschöpfe starrten Emma an. Manche blickten feindselig, manche traurig. Am liebsten hätte Emma auf der Stelle kehrtgemacht und wäre weggerannt. Doch sie blieb zwischen Couchtisch und Sekretär stehen und versuchte, die Jagdtrophäen zu ignorieren, was fast unmöglich war, da die Wände damit tapeziert waren.
    »Nun, Ms. Fryer«, der Direktor klatschte in die Hand, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, »ich halte es für unangebracht, wenn die Schülerinnen mit dem Personal anbandeln.«
    Emma massierte nervös ihre rechte Hand mit der linken. »Ich verstehe nicht.«
    »Ich habe Sie und Christian gemeinsam aus dem Garten kommen sehen«, teilte er ihr triumphierend mit. »Ich will gar nicht wissen, was sie dort miteinander getrieben haben -«
    Aufgebracht fiel Emma ihm ins Wort: »Gar nichts haben wir. Wir waren nicht einmal zusammen dort, sondern sind nur beide zufällig spazieren gegangen. Was soll man denn sonst hier abends machen?«
    »Sie geben also zu, sich dort getroffen zu haben, zufällig oder nicht?« Er hob eine Augenbraue an und wartete.
    »Nein, es hat vielleicht so ausgesehen, aber er ist nur nach mir aus dem Garten gekommen. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass er auch dort war. Erst in der Eingangshalle sind wir uns tatsächlich begegnet«, log sie standhaft.
    Er kam zu ihr und hielt sie an den Oberarmen fest. Auf einmal klang seine Stimme samtig, beinahe väterlich. »Meine Liebe, lassen Sie sich nicht zu sehr mit den jungen Ladys Abercrombie, Dorchester, MacDuff und Jones ein. Sie sind nicht der rechte Umgang für Sie.«
    Dass ihr das mal jemand sagen würde, damit hätte sie niemals gerechnet! Die Mädchen stammten allesamt aus guten Familien, die weitaus wohlhabender, einflussreicher und sogar adelig waren. Sie selbst zählte zu den ungeliebten Neureichen, zumal ihr Vater sein Geld nicht mit einer Arbeit verdiente, die sonderlich angesehen war.
    Aber Hoodle spielte vermutlich auf die Orgie der Mädchen mit Patrick Conway an, während Emma in seinen Augen ein braves, unauffälliges Mädchen war. Nun, seine Warnung kam zu spät, sie war bereits Mitglied im Lolita-Club.
    Die Nähe zu ihm war ihr unangenehm. Wie er sie ansah! Mit einer Mischung aus Mitleid und Verständnis. Sie wollte sich einen Schritt von ihm entfernen, aber er hielt sie fest. »Es sind ja nur noch wenige Wochen bis zur Prüfung.«
    »Die vier sind verdorben, nichts ist ihnen heilig. Ich würde sogar behaupten, sie gehen über Leichen.« Sanft schüttelte er Emma und zog sie noch näher an sich heran. »Sie machen sündige Dinge, verstehen Sie, Ms. Fryer? Dinge, von denen eine junge Frau wie Sie keine Ahnung hat.«
    Der spinnt, dachte Emma. Ging er etwa davon aus, dass sie noch an den Klapperstorch glaubte? Sie konnte zwar, was den Erfahrungsschatz und die Offenherzigkeit anbetraf, nicht mit den Lolitas mithalten, aber sie war keineswegs naiv und unbefleckt.
    Er starrte sie an, als wollte er sie mit seinem Blick hypnotisieren wie die Schlange Kaa den Jungen Mowgli im Dschungelbuch. »Aber Sie sollten diese Dinge von einem Lehrer erfahren, jemandem wie mir, der Ihnen alles behutsam beibringen kann.«
    Emma war völlig durcheinander. War das ein unmoralisches Angebot? Was dachte er sich eigentlich dabei? Hatte er Langeweile aufgrund der Ferienzeit? Oder war er gar bei Charlie, Lauren, Megan und Holly abgeblitzt?
    Sie schaute zum Fenster in der Hoffnung, dass Christian sie von draußen beobachtete und jeden Moment hereingestürmt kommen würde, um sie zu retten. Aber er war nicht dort.
    Der Direktor bemerkte ihren sehnsüchtigen Blick. »Sie denken, Christian ist ein attraktiver Kerl, aber er ist nur ein grobschlächtiger Handwerker. Suchen Sie sich lieber einen Virtuosen, nur ein Mann mit Erfahrung wird Ihren Bedürfnissen gerecht werden.«
    Emma hatte genug. Energisch riss sie sich los. »Danke für Ihre wertvollen Ratschläge, Mr. Hoodle.«
    Erhobenen Hauptes eilte sie aus seinem Appartement, rannte durch die Eingangshalle und die Treppen hinauf, die zu den Quartieren der Schülerinnen führten. In ihrem Zimmer warf sie sich aufs Bett, verschränkte die Arme unter ihrem Kopf und starrte an die Decke.
    Hatte sie Humpty Dumpty womöglich falsch verstanden? Wollte er sie nicht anbaggern, sondern sie lediglich aus väterlicher Fürsorge warnen? So musste es sein. Bisher war er für sie geschlechtslos gewesen, der Internatsleiter, der

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