Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
herunter. Ob er Gabriel und sie beschützen konnte? Sie wollte nicht so recht daran glauben, denn er hätte niemals zugelassen, dass Gabriel in Gotthardts Fänge geriet.
»Komm, Leni! Wir schauen oben nach, ob wir den Kleinen dort finden.« Änni stieg die Treppe hinauf, und Alena folgte ihr.
Zuerst betrat sie ihre alte Schlafkammer. Alles schien vertraut und gleichzeitig fremd. Alenas Blick fiel auf den Waschtisch. Dort, wo einst ihre Kämme und ihr Haarschmuck gelegen hatten, war nur das blankpolierte Mahagoniholz des Tisches zu sehen. Mit zitternden Fingern öffnete Alena die Truhe, in der sie ihre Kleider aufbewahrt hatte. Motten flatterten ihr entgegen, und am Boden lag nur ein löchriger Handschuh. Gotthardt hatte offenbar all ihre Habe aus dem Haus geschafft. Alena dachte an ihr kaltes Grab neben der Kirchhofsmauer. Aufgewühlt ließ sie den Deckel los. Laut krachend schloss sich die Truhe. Das Poltern brachte Alena zur Besinnung.
»Was machst du denn, Leni? Sie könnten uns hören.« Änni schüttelte den Kopf. »Komm! Lass uns weitersuchen.«
In alle Räume spähten sie, doch von Gabriel fehlte jede Spur. Verzweiflung keimte auf, und Alena schlug sich die Hand vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken.
»Verdammt! Gabriel muss doch irgendwo sein.«
»Ich halte das nicht mehr aus. Ich muss wissen, wo mein Kind ist.« Alena drückte Änni die kleine Sophie in den Arm, lief die Stiegen hinunter und stieß die Tür zum Speisezimmer auf.
Ein Stück halbgekauten Bratens fiel Gotthardt aus dem Mund. Mergh verschluckte sich an dem Wein und schlug sich hustend auf die Brust.
»Ja, da glotzt ihr, was?« Alena stemmte die Hände in die Hüften. Sie spürte nichts, nicht ihren Herzschlag, keinen Hass und keine Angst. »Ich will augenblicklich wissen, wo mein Kind ist.«
Zuerst fing sich Mergh, erhob sich von ihrem Stuhl und stützte sich mit den Handflächen auf den Tisch. »Sprichst du von deinem Teufelsbalg? Das ist nicht hier.«
»Gabriel muss hier sein. Ich schwöre, ich bringe euch beide um, wenn ihr ihm etwas angetan habt.«
Mergh warf den Kopf in den Nacken und lachte heiser auf. »Gabriel! Welch ein Name für die Dämonenbrut! Hätte Luzifer nicht besser gepasst?«
Alena musste an sich halten, um ihr nicht auf der Stelle den Hals über dem Spitzenkragen zuzudrücken.
Da richtete Gotthardt das Messer in seiner Hand auf sie. »Du Hure, mach, dass du fortkommst!«
»Hure nennst du mich? Wer von uns beiden hat denn die Ehe gebrochen?«
Gotthardt sprang auf. »Wie redest du mit mir?«, brüllte er und richtete unverwandt das Messer auf sie, von dem der Bratensaft tropfte.
Alena zwang sich zur Ruhe. Gotthardts Bettgeschichten spielten keine Rolle. Nur Gabriel war wichtig. »Wo ist mein Sohn?«, stieß sie mit bebender Stimme hervor.
Mit gelangweiltem Gesichtsausdruck umrundete Mergh den Tisch und drückte ihren Sohn in den Stuhl. »Mach dir an der Hure nicht die Finger schmutzig! Wir wollen sie nicht mehr beachten. Was hältst du davon?«
Alena trat an den Tisch und schlug mit der Hand auf die polierte Platte. »Meine Aussage über Gotthardts Machenschaften liegt bei Gülich. Ein Wort von mir, und er wird sie der Untersuchungskommission vorlegen. Also, wo ist Gabriel?«
Merghs Gesicht verlor für einen Augenblick die Farbe, doch sie fing sich schnell und grinste wie eine Irre. »Die Brut ist an einem sicheren Ort. Ich glaube, der Kirche wird daran gelegen sein, die kleine Teufelsseele im Feuer zu reinigen. Du hast zwei Möglichkeiten, Mädchen: Entweder du läufst zu Gülich, gibst deine Aussage frei, und das Balg wird brennen. Oder du ziehst deine Aussage zurück, und wir werden sehen.«
Alena glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie hatte gehofft, die beiden mit ihrer Ankündigung unter Druck setzen zu können. Doch offenbar hatte sie sich geirrt. Dass Gotthardt im Kerker landete, bedeutete ihr nichts, wenn sie dafür auf Gabriel verzichten musste. Es bedeutete nichts, gar nichts. Sie holte tief Luft und nickte. »Gut, ich werde meine Aussage widerrufen.«
»Du kannst uns viel erzählen.« Mergh hob die Augenbrauen. »Morgen gehen wir gemeinsam zu Gülich. Ich will dabei sein, wenn du die Aussage zurücknimmst. Aber das ist noch nicht alles. Du wirst Gotthardt als ehrlichen Mann loben und dich selbst als Hure hinstellen, die einen Fehltritt begangen hat. Verstehst du mich?«
Alena spürte Ännis Hand auf ihrer Schulter. In ihrem Leib wüteten tausend Messer. Blieb ihr eine
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