Die Magier 01. Gefährten des Lichts - Six héritiers (Le Secret de Ji, Bd. 1)
zu wissen, was auf ihn zukam. Vor Sonnenuntergang musste sich der Bräutigam um das Jawort seiner Geliebten bemühen. Abends feierte dann das ganze Dorf die Verlöbnisse.
Natürlich konnte man sich das feierliche Versprechen auch an jedem anderen Tag geben, doch Yan wusste, wie sehr Léti an der Tradition hing, und sie wäre bestimmt wütend, wenn er die Sache an einem anderen Tag auch nur ansprach. Für sie kam nur der von Eurydis auserkorene Tag in Frage.
Nein, er musste all seinen Mut zusammennehmen und sie in der kommenden Dekade um ihre Hand bitten. Andernfalls würde er sein Vorhaben auf das nächste Jahr verschieben müssen.
Verflixt!
Ihm war nie klar gewesen, wie einengend diese Rituale sein konnten, die ihn sonst eher belustigten: Antrag, Versprechen, Bekenntnis, Bund. Es galt so viele Hindernisse zu überwinden, und das vor den Augen des ganzen Dorfs, nur, um mit Léti zusammenzuleben! Ganz zu schweigen von den anzüglichen Witzen am Tag der Jungfrau, am Tag des Pilzes und am Tag der Kinder. Wenn Yan nur daran dachte, wurde ihm schlecht.
Die Dekade der Zweifler. Er hegte keine Zweifel, dass er mit Léti den Bund schließen wollte, aber große Zweifel, ob er bereit war, all diese Strapazen auf sich zu nehmen!
Und das alles war noch gar nichts im Vergleich zu seiner größten Angst.
Würde sie Ja sagen?
Im Dorf ging man schon seit ihrer Kindheit davon aus, dass sie einander versprochen waren. Létis Mutter Norine hatte Yan, der früh zur Waise geworden war, bei sich aufgenommen, bis er zu alt wurde, um mit den beiden Frauen unter einem Dach zu leben. Dann war er wieder in das kleine Haus seiner Eltern gezogen. Allerdings verbrachte er immer noch einen Großteil des Tages bei seiner Pflegefamilie. Er ging für die beiden Frauen fischen, arbeitete hart und hielt ihr Haus besser instand als sein eigenes, das jeden Tag mehr verfiel. Nach Norines Tod pflegte er die kranke Léti aufopferungsvoll. Jetzt waren sie beide Waisen und in den Augen der Dorfbewohner einander versprochen.
In den Augen der Dorfbewohner, aber auch in ihren? Yan war nur ein armseliger Fischer. Er war nicht reich, weder gut aussehend noch charmant und hatte keine besondere Fähigkeit - außer vielleicht der, ein bisschen lesen zu können. Er hatte keine Familie, auf die er zählen konnte, und im Dorf galt er als verträumt und ein bisschen faul.
Für ihn war Léti das schönste Mädchen der bekannten Welt. Er liebte ihre Willenskraft, ihr Lachen, ihre Lebenslust. Unter ihren Vorfahren waren viele Ratsfrauen, ihre Tante war Mitglied im Ständigen Rat, und auch sie würde vermutlich in einigen Jahren in den Rat der Mütter gewählt werden. Ihr Haus war das größte im Dorf und besser eingerichtet als alle anderen zusammen. Léti war einfach zu gut für ihn.
Yan hätte alles dafür getan, schöner, lustiger, reicher, begabter und interessanter zu sein.
Eines Tages hatte er versucht, die traditionelle Kunst des Unterwasserfischens zu verbessern. Er hatte eine ausgemusterte Armbrust zu einer Harpune umgebaut, doch sein Plan war nicht sonderlich durchdacht und die Ausbeute schlecht gewesen, weshalb die Dorfleute nicht gerade begeistert von der Idee waren. Sie sagten, seine Harpune sei gefährlich und nur etwas für Taugenichtse und Faulpelze.
Ein anderes Mal führte er einen angereisten Gelehrten, der Meeresvögel studieren wollte, zu den einsamen Buchten und Stränden Ezas. Er verbrachte mehrere Tage in seiner Gesellschaft und lernte alles über Vögel. Doch als er Léti erzählte, die Koriolen zögen zu Beginn der Jahreszeit des Feuers hoch in den Norden Arkariens, hatte sie gefragt, was ihm dieses Wissen nütze. Er suchte immer noch nach einer Antwort.
Für eine Weile hatte er die Fischerei aufgegeben und war der Reihe nach beim Schmied, beim Tischler, bei einem Bauern, beim Müller und beim Wirt in die Lehre gegangen. Doch jedes Mal warf er schnell das Handtuch. Seine Meister klagten, er denke sich immer wieder etwas Neues aus, um keinen Finger krumm machen zu müssen. Allein der Dorfpriester war noch bereit, ihn als Lehrjungen anzunehmen, doch Yan hatte das Angebot höflich abgelehnt. Er verehrte Eurydis und Brosda, doch deshalb musste er ihnen nicht gleich sein Leben widmen.
Kurzum, er hatte zurzeit keine anderen Zukunftspläne als die, mit Léti den Bund zu schließen.
Dann wäre alles anders. Vielleicht würden sie in ein anderes Dorf ziehen oder zumindest oft auf Reisen sein. Und endlich könnte er sie auf dieses
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