Die Magier 01. Gefährten des Lichts - Six héritiers (Le Secret de Ji, Bd. 1)
stocknüchternen Passagier, der an Bord gezogen wurde.
»Das ist eine Tradition der Fährmänner«, erklärte Grigán. »Ich habe gehört, dass sie bisweilen sogar geheime Wettbewerbe darin veranstalten, Passagiere über Bord zu werfen. Vermutlich haben sie den Kerl absichtlich an die Reling gestellt.«
»Die Lorelier haben seltsame Spiele«, sagte Yan.
»Springt man in Kaul nicht um die Wette vom Kliff? Das erscheint mir auch nicht viel intelligenter.«
»Das ist etwas anderes. Niemand muss dabei mitmachen.«
»Komm schon, Yan, du hast doch auch gelacht«, sagte Léti. »Es war ja nicht böse gemeint.«
»Genau«, pflichtete Grigán ihr bei. »In Romin ist es üblich, ein brünstiges Rotschwein im Haus eines Freundes freizulassen. Natürlich nicht, ohne vorher Fenster und Türen zu verrammeln. Wenn das Opfer den Urheber des Streiches nicht verprügelt, sind sie wahre Freunde.«
»Das kann ich mir vorstellen. Was ist ein Rotschwein?«
Corenn sah Yan überrascht an. »Hast du noch nie eins gesehen? Was ist mit dir, Léti?«
»Nein.«
»Unglaublich. Es sieht aus wie eine Kreuzung aus Haus- und Wildschwein und hat ein tiefrotes Fell. Normalerweise lebt es in Rotten von fünfzig bis sechzig Tieren, aber es sind auch schon welche von über dreihundert Exemplaren gesichtet worden. Sie richten großen Schaden an. In Romin sind sie eine regelrechte Plage, und auch im Westen des Matriarchats mussten wir sie vor ein paar Jahren zur Jagd freigeben, weil es einfach zu viele wurden.«
»Ich höre zum ersten Mal von solch einem Tier. Und was tut ein brünstiges Rotschwein, Meister Grigán?«
»Es grunzt, es schreit, es beißt, es schlägt aus, es rammt alles, was sich bewegt, und eigentlich auch alles, was sich nicht bewegt. Und vor allem stinkt es. Es heißt, man könne es keine Dezille in der Nähe eines brünstigen Männchens aushalten.«
»Hört sich an wie Yan, wenn er vom Schlammaalfischen kommt«, sagte Léti kichernd.
»Sehr witzig. Erinnere mich daran, dass ich dich das nächste Mal mitnehme.«
»Aale sind köstlich«, warf Corenn ein.
»Ihr wollt auch mitkommen? Sehr gern. Ihr werdet sehen, es ist ein Riesenspaß.« Yans schlechte Laune war wie weggeblasen und alle Zukunftssorgen waren vergessen. Er wollte einfach nur die Gegenwart genießen.
Der Kahn glitt leise über den Fluss. Nur die Holzstaken wühlten die spiegelglatte Wasseroberfläche auf, und ab und zu schnappte ein Fisch nach einer Mücke. Dem fahlen Widerschein der Lampen und dem schwindsüchtigen Mond gelang es nicht, die Nacht zu bezwingen, doch ihr Schimmer hatte etwas Beruhigendes. Die Lichter Benelias in der Ferne leuchteten schwächer als die Glühwürmchen, die in der Dunkelheit schwebten. Am Ufer brannten Feuer neben Anlegestellen und Herbergen. Die Aussicht auf ein warmes Bett … Kälte kroch vom Wasser herauf, und Yan wickelte sich fester in seinen Umhang. Er wollte Léti fragen, ob auch ihr kalt war, wagte aber nicht, die friedliche Stimmung zu stören. In der nächtlichen Stille war nichts zu hören als der Gesang der Frösche, das Gemurmel der Reisenden und das Plätschern des Wassers. Yan rückte näher an Léti heran und strich ihr sacht über den Rücken. Sie lächelte ihm dankbar zu. Wäre es doch immer so einfach zwischen ihnen …
Er legte den Arm um Léti, und sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. So standen sie da, schweigend und reglos, gemeinsam im Dunkel der Nacht.
Corenn zog die beiden jungen Leute sanft aus ihren Träumen, da die Fähre bald anlegen würde. Yan hatte das Ufer gar nicht kommen sehen. Widerstrebend löste er sich von seiner Freundin und nahm wie die anderen sein Pferd am Zügel. Nachdem sie von Bord gegangen waren, führte Grigán sie zu der Herberge. An diesem Ufer sah alles genauso aus wie auf der anderen Seite: Es gab einen Anlegesteg, drei Wächter, die das Geld entgegennahmen, Reisende, die auf die Fähre warteten, und ein paar Marktbuden, die mittlerweile geschlossen waren.
Über der Tür zur Herberge hing ein riesiges Schild. Auf Itharisch stand dort: Herberge zur Fähre. Der Wirt war offenbar nicht gerade phantasievoll.
»Seid Ihr schon mal hier gewesen?«, fragte Yan Grigán.
»Dreimal, glaube ich. Vielleicht auch viermal. Aber mein letzter Aufenthalt liegt mindestens sechs Jahre zurück. Es ist unwahrscheinlich, dass mich jemand erkennt.«
»Das meinte ich nicht …«
Wieder einmal fürchtete Yan, sich zu blamieren. »Ich … ich war noch nie in einer Herberge. Ich glaube, in der
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